Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
möchte daheim in Dschermanistan erzählen, daß die Richter des Großsultans gerechte Beamte sind.«
»Das sind wir auch; ich werde es Dir sofort beweisen!«
Er trat wieder zu den Anderen und fragte den Gefangenen:
»Kennst Du den Handschia Doxati hier?«
Der Gefragte entfärbte sich. Er antwortete in einem sehr unsicheren Tone:
»Nein. Ich bin ja noch nie in Edreneh gewesen!«
»Und er kennt auch Dich nicht?«
»Wo sollte er mich gesehen haben?«
»Er lügt,« fiel ich ein. »Du mußt es ihm ansehen, daß er die Unwahrheit redet, Kadi! Ich verlange, daß Doxati ihn zu sehen bekommt, um – – halt! Um Gottes willen zurück!«
Ganz zufälliger Weise hatte ich, während ich sprach, den Blick empor gerichtet. Wir befanden uns in dem kleinen Hofe, welcher ringsum von Gebäuden umgeben war. Da, wohin mein Blick jetzt fiel, gab es eine Art Söller, ein hölzernes Gitterwerk, durch dessen Lücken ich zwei Gewehrläufe auf uns gerichtet sah: den einen grad auf mich und den anderen auf den Gefangenen, wie es mir schien. Ich warf mich sofort zur Seite und schnellte nach dem Eingange hinüber, um dort Schutz zu suchen. In demselben Augenblick krachten die zwei Schüsse. Ein lauter Schrei erscholl.
»Allah ïa Allah! Ma una! Gott, o Gott, zu Hülfe!«
Diesen Ruf hatte einer der Khawassen ausgestoßen, indem er sich neben einen anderen niederwarf, der sich am Boden in seinem Blute wälzte.
Die eine Kugel hatte mir gegolten; das war sicher. Nur einen Augenblick später, und ich wäre eine Leiche gewesen. Der Schütze war bereits im Abdrücken gewesen, als ich zur Seite sprang; er hatte die Kugel nicht zu halten vermocht, und sie war dem Khawassen, welcher dicht hinter mir gestanden hatte, in den Kopf gedrungen.
Die zweite Kugel hatte ihr Ziel erreicht. Ali Manach lag todt an der Erde.
Mehr sah ich nicht. Einen Augenblick später war ich wieder über den Hof hinüber. Eine schmale, hölzerne Treppe führte da nach oben, wo sich das Gitterwerk befand. Ich folgte einem augenblicklichen Impulse.
»Hinauf, Sihdi! Ich komme auch!«
Das war die Stimme meines kleinen, tapfern Hadschi, welcher mir sofort nacheilte. Ich gelangte hinauf in einen schmalen Gang, an welchen einige Stuben stießen, die allerdings viel eher Löcher hätten genannt werden können. Der Gang mündete auf das Gitterwerk. Der Geruch des Pulvers war noch vorhanden, ein Mensch aber nicht. Ich durchsuchte mit Halef die Stuben. Auch hier fand sich Niemand. Es war geradezu unerklärlich, wie die zwei Mörder hatten verschwinden können. Zwei waren es gewesen, denn ich hatte ganz deutlich die Flintenläufe gesehen.
Da hörte ich jenseits des Gebäudes eilige Schritte. Das mußten zwei Menschen sein. Die Wand war nur von Brettern gebildet. Ich bemerkte ein Astloch, trat hinzu und blickte hindurch! Richtig! Über den Nachbarhof eilten zwei Männer, von denen jeder eine lange, türkische Flinte in der Hand trug.
Ich sprang hinaus auf den Gang und rief in den Hof hinab:
»Rasch hinaus auf die Gasse, Kadi! Die Mörder fliehen durch das Nebenhaus!«
»Das ist nicht möglich!« antwortete er herauf.
»Ich habe sie ja gesehen! Schnell, schnell!«
Er wendete sich zu seinen Leuten und gebot ihnen in aller Gemächlichkeit:
»Seht einmal nach, ob er Recht hat!«
Zwei von ihnen entfernten sich langsamen Schrittes. Nun, mir konnte es schließlich sehr gleichgültig sein, ob die Beiden ergriffen wurden oder nicht. Ich stieg also wieder in den Hof hinab. Als ich da ankam, fragte der Kadi:
»Effendi bist Du ein Hekim?«
Der Orientale erblickt in jedem Franken einen Arzt oder einen Gärtner. Der weise Kadi war derselben Ansicht.
»Ja,« antwortete ich, um die Sache kurz zu machen.
»So sieh einmal nach, ob diese Beiden vollständig todt geschossen sind!«
Bei Ali Manach konnte kein Zweifel herrschen. Die Kugel war ihm zu der einen Schläfe hinein gedrungen und zu der anderen wieder heraus. Der Polizist war in die Stirne getroffen, lebte aber noch; doch stand mit Gewißheit zu erwarten, daß auch er in einigen Minuten todt sein werde.
»Mein Vater, mein Vater!« klagte der andere Khawasse, welcher sich neben ihm niedergeworfen hatte.
»Was jammerst Du!« sagte der Kadi. »Es ist sein Kismet. Es hat im Buche gestanden, daß er auf diese Weise sterben solle. Allah weiß, was er thut!«
Da kamen die Beiden zurück, welche mit Gemächlichkeit zur Verfolgung aufgebrochen waren.
»Nun, hatte dieser Effendi Recht?« fragte der Kadi.
»Ja.«
»Ihr habt die
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