Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
zu verwenden; aber ich konnte damit größeren Nutzen schaffen, als wenn ich es in die bodenlose Tasche des Beamten gelangen ließ.
Jetzt setzten wir uns in Bewegung, Alle, die wir betheiligt waren. Die Khawassen erhielten den Befehl, uns von Weitem zu folgen, damit ein allzu großes Aufsehen vermieden werde.
Wir erreichten die Ecke, an welcher wir gestern Abend mit dem Manne zusammen getroffen waren. Auch Hulam erinnerte sich ihrer genau. Von hier an aber mußte ich allein als Führer dienen. Es wurde mir nicht schwer, das Haus zu finden. Die Thüre war verschlossen. Wir klopften; aber es erschien kein Mensch, um uns zu öffnen.
»Sie fürchten sich,« meinte der Kadi. »Sie haben uns kommen sehen und verstecken sich!«
»Das glaube ich nicht,« antwortete ich. »Es wird mir einer dieser Leute, als ich mit Ali Manach durch die Straßen ritt, begegnet sein. Er hat gesehen, daß der Derwisch gefangen und daß der Anschlag verunglückt ist. Daher hat er die Anderen sogleich benachrichtigt, und nun haben sie die Flucht ergriffen.«
»So müssen wir mit Gewalt eindringen!«
Jetzt blieben die Passanten stehen, um zu sehen, was sich hier ereignen würde. Der Kadi ließ sie durch seine Khawassen fortweisen, und dann wurde die Thüre, welche keinen großen Widerstand bot, einfach eingestoßen.
Ich erkannte den langen schmalen Gang sogleich wieder. Die Polizisten hatten sich im Nu über alle vorhandenen Räume vertheilt, vermochten aber nicht, ein menschliches Wesen aufzufinden. Verschiedene Anzeichen ließen darauf schließen, daß die Bewohner eine sehr eilige Flucht ergriffen hatten.
Ich suchte auch den Raum auf, in welchem ich gelegen hatte. Als ich in den kleinen, engen Hof zurückkehrte, hatte der Kadi dort ein abermaliges Verhör mit Ali Manach begonnen. Dieser trat jetzt mit noch größerer Sicherheit auf, als vorher. Er mochte Angst gehabt haben, von den Bewohnern des Hauses verrathen zu werden. Diese Angst war jetzt ebenso verschwunden, wie die Leute, welche hier zu finden wir erwartet hatten. Ich mußte meine Aussagen wiederholen; ich mußte die Stelle zeigen, an welcher er neben mir gesessen hatte; ich zeigte auch diejenige, an welcher ich im Hofe mich gegen die Übermacht der Angreifer gewehrt hatte.
»Und Du willst dieses Haus wirklich nicht kennen?« fragte ihn der Kadi.
»Ich kenne es nicht,« antwortete er.
»Du warst noch niemals hier?«
»Nie in meinem Leben!«
Da wendete sich der Beamte an mich:
»So kann doch kein Mensch leugnen, Effendi! Ich beginne zu glauben, daß Du Dich wirklich irrst!«
»Dann müßte auch Isla sich irren, der ihn in Stambul gesehen hat.«
»Ist das nicht möglich? Viele Menschen sehen sich ähnlich. Dieser Fischer aus Inada kann sehr unschuldig sein!«
»Willst Du einmal mit mir auf die Seite kommen, o Kadi?«
»Warum?«
»Ich möchte Dir etwas sagen, was diese Anderen nicht zu hören brauchen.«
Er zuckte die Achsel und antwortete:
»Diese Leute können Alles hören, was Du mir zu sagen hast, Effendi!«
»Willst Du, daß sie Worte hören, welche in Deinen Ohren nicht angenehm klingen können?«
Er besann sich doch und sagte dann in fast strengem Tone:
»Du wirst nicht wagen, ein einziges Wort auszusprechen, das ich nicht gern hören möchte. Aber ich werde gnädig sein und Dir Deine Bitte erfüllen. Komm und sprich!«
Er entfernte sich einige Schritte und ich folgte ihm.
»Wie kommt es, daß Du jetzt plötzlich in ganz anderer Weise als vorher mit mir redest, Kadi?« fragte ich. »Wie kommt es, daß Du jetzt plötzlich an die Schuldlosigkeit dieses Menschen glaubst, von dessen Schuld Du doch vorher so überzeugt zu sein schienst?«
»Ich habe eingesehen, daß Du Dich irrst.«
»Nein,« entgegnete ich mit gedämpfter Stimme. »Nicht, daß ich mich irre, hast Du eingesehen, sondern daß Du selbst Dich geirrt hast!«
»In wem soll ich mich geirrt haben? In diesem Fischer?«
»Nein, sondern in mir. Du glaubtest, in den Besitz meines Beutels kommen zu können. Das ist Dir nicht geglückt, und nun ist der Verbrecher unschuldig.«
»Effendi!«
»Kadi!«
Er schnitt ein sehr ergrimmtes Gesicht und sagte:
»Weißt Du, daß ich Dich wegen dieser Beleidigung festnehmen lassen kann?«
»Das wirst Du bleiben lassen! Ich bin ein Gast dieses Landes und seines Beherrschers; Du hast keine Macht über mich. Ich sage Dir, daß Ali Manach Alles gestehen wird, wenn Du so thust, als ob er die Bastonnade erhalten soll. Ich habe Dir keine Vorschriften zu machen; aber ich
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