Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
der Mangel an rechter Einigung zu Schulden kommen läßt. Der meiste Zwist zwischen Ehegatten kommt von den Kindern her und hat um so nachtheiligere Folgen, als dergleichen Uneinigkeiten in so vielen Fällen vor den Augen der Kinder ungenirt verhandelt werden.
»Was willst Du werden?« Diese Frage wird gewöhnlich nur in Beziehung auf den gewerblichen Beruf ausgesprochen, und die Entscheidung ist dann nicht allein von der Neigung und Begabung des Kindes und der Meinung der Eltern, sondern auch von dem Stande und Einflusse der Verhältnisse abhängig.
Die Neigung zu irgend einem Berufe ist, wenn sie nicht absichtlich von den Eltern geweckt wurde, eine Stimme der Natur, welche sich schon in den frühesten Kinderjahren bemerklich macht und die aufmerksamste Beachtung verdient. Ganz besonders ist sie in den Spielen der Jugend, den Lieblingsbeschäftigungen des Knaben, der Leichtigkeit, mit welcher er das Eine bewältigt und der Schwierigkeit, welche ihm das Andere verursacht, zu erkennen, und es ist natürlich einleuchtend, daß ein Beruf nur dann den möglichsten Segen und Erfolg bringt, wenn ihm mit Lust und Liebe obgelegen wird, was nur der Fall ist dann, wenn man Neigung und Begabung für ihn besitzt.
Freilich muß man bemerken, daß der Einfluß der Verhältnisse fast stets die bedeutendste Stimme bei der Berufswahl besitzt. Was der Großvater war und der Vater ist, das muß der Sohn auch werden, gleichviel, ob er Lust dazu empfindet; die Gewohnheit, die Armuth, die Beschränktheit des Arbeitsgebietes erfordern es, und daher kommt die Ueberfüllung gewisser Bezirke und Berufsarten mit Arbeitskräften, welche bei den herabgedrückten Löhnen kaum das nackte Leben zu fristen vermögen und seit des Ueberganges ihrer Arbeit an die Maschine auch keine Hoffnung hegen dürfen, daß sich ihr immer mehr aussterbender Beruf wieder heben werde.
Geographische Predigte n
1.
Himmel und Erde
»Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre;
Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort;
Ihn rühmt der Weltenkreis; ihn prüfen alle Heere,
Drum lobet ihn, den großen Hort!«
»Wenn die Nacht mit begeisternder Herrlichkeit emporsteigt,« ruft einer unserer bedeutendsten Geographen aus, »und sie den Schleier von Sonnenstrahlen hinwegzieht am Firmamente; wenn wunderbar aus ewigen Fernen, aus den Tiefen des Weltenalls, tausende neue Sonnen, neue Erden schimmern: dann erhebt sich unser entzückter Blick nicht zur stillen Pracht der Gestirne, ohne Seiner Hoheit, Größe und Macht zu gedenken, Seiner, in dessen Lichte unermeßliche Welten wie geringe Sonnenstäubchen spielen und dessen Schöpfungen keine Schranken kennen.
Jene Gestirne predigen seine Majestät herrlicher, als es der Geist eines Sterblichen vermag. Jene Gestirne, die aus dem ewigen All uns anstrahlen, sind heilige Offenbarungen von oben her, sind Propheten der Ewigkeit, die uns anrufen, sind Weissagungen von dem unbekannten Jenseits, des unserer wartet.
Vielleicht haben wir schon, unbewußt, den Blick in das Geheimniß der Ewigkeit geworfen. Vielleicht sehen wir schon Strahlen einer Welt – dereinst unsre Welt – in der verklärt und veredelt die Geister unserer Geliebten mit überirdischem Entzücken wallen. Sehnen sie sich nach dieser Erde zurück? Vielleicht erkennen sie dieselbe kaum noch als kleinen Punkt unter den Sternen, wissen nicht, daß dieser Punkt einen kurzen Traum lang ihr Wohnort war, – wissen nicht, daß noch auf diesem Punkte ein liebendes Herz wohnt, welches sie vergebens ruft!«
Wohl mag die Indolenz ein Lächeln haben für den Glauben, welcher sich nach oben richtet und seine Hoffnungen von der Erde reißt, um sie »über die Sterne« zu lenken, aber ein ernstes und sinniges Gemüth mag und kann sich den Ahnungen nicht entziehen, welche beim Glanze des Firmamentes der Seele entsteigen und nach einer Heimath streben, welche außerhalb der Grenzen des Zeitlichen und Räumlichen liegt.
Die griechische Götterlehre erzählt uns eine tiefernste Sage: Prometheus stieg hinauf zu dem Sitze der Götter, entwendete ihnen einen Funken des himmlischen Feuers und brachte die belebende und alle Finsterniß verscheuchende Flamme den Bewohnern der Erde.
Die Götter bestraften diese verwegene That. Angeschmiedet an einen Felsen des Kaukasus, wurde er ein Raub der furchtbarsten Schmerzen, denn ein Adler mußte ihm die beständig nachwachsende Leber immer wieder von Neuem aushacken.
Diese Sage birgt einen tiefen Sinn. Es hat zu allen Zeiten solche
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