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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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dem wohlhabenden Bewohner der Ebene gehuldigt wird, liebt der arme aber verwegene Bewohner der Atlasberge einen anderen Sport, welcher freilich mit unserem siebenten Gebote nicht gut in Einklang zu bringen ist. Das Wort Haremi, Räuber, gilt ihm als eine sehr ehrenvolle Bezeichnung. Dabei ist er ungemein höflich und wird niemand die Taschen leeren, ohne bei jedem Gegenstande, den er nimmt, ein freundliches »Bidesturak« oder »‘an isnak – mit Ihrer Genehmigung« zu sagen.
    Ganz unvergleichlich ist bei den marokkanischen Tribus der militärisch sein sollende Empfang vornehmer Gäste (S. 968). Es geht da freilich ohne Pomp nicht ab, aber ein deutscher Kavalleriewachtmeister würde, wäre er dabei, gar nicht aus dem Kopfschütteln herauskommen. Der Scheik oder gar der Kaid selbst kommandiert zwar: »Has dur – Gewehr über!« oder »Isalam dur – präsentiert das Gewehr!« Aber wie diese Befehle vollzogen werden, das könnte den ältesten Karrengaul, welcher vor zwanzig Jahren in der Front stand, zum Durchgehen bringen.
    Dennoch ist der Anblick einer solchen Truppe nichts weniger als lächerlich. Jeder einzelne Reiter ist ein Charakter, ein würdevoller,   selbstbewußter Repräsentant seines Stammes und seiner Art. Die Fremdwörter uniformieren und nivellieren würden bei ihm auf den zornigsten Widerstand stoßen. Er ist ein geborener Krieger und hält es für beleidigend, sich erst dazu drillen lassen zu sollen. Er hat als kleiner Bube zwischen Pferdehufen geschlafen und die Hälfte seines Lebens im Sattel zugebracht. Die Ausdrücke Radschal und Chejal, Mann und Reiter, sind für ihn ganz gleichbedeutend. Wehe dem, der ihm sagen wollte, daß er schlecht im Sattel sitze oder seine lange Flinte nicht richtig anzufassen verstehe!
    Daß er ein Reiter sei, und zwar ein ausgezeichneter, das zeigt er täglich und stündlich, mag sein Pferd, vor dem todbringenden Smum fliehend, die ungemessene Weite der Wüste oder Steppe förmlich verschlingen oder mag es, von glühendem Durst verzehrt, langsam, Schritt um Schritt über die eigenen Hufe stolpern. Wenn die Schläuche ausgetrocknet sind und die Zunge wie sengendes Erz im Munde liegt, wenn die Augen wie durch Blut und Feuer sehen und der kraftlose Körper trotz des Sonnenbrandes keinen Tropfen Schweiß mehr hat, wenn jeder Schritt den Körper schmerzt und das Ziel doch noch so fern liegt, dann gilt es, Mann zu sein.
    Da sucht sein Blick am niedrigen Horizonte vergeblich nach Hilfe. Wasser, nur Wasser kann Rettung bringen, und er weiß es doch genau, daß es, soweit sein Pferd ihn heute auch schleppen mag, nicht einen einzigen Tropfen gibt. Oder sollte er sich irren? Dort drüben, links, blitzt und wallt es wie eine ganze Wasserflut. Es ist ein See, ein großer See! Das Pferd des voranreitenden Führers öffnet prüfend die Nüstern und wiehert freudig auf. Auch der ihnen begegnende Ben Amir, welcher sich nach der Hauptstadt betteln will, deutet mit der Hand hinüber und grinst freundlich mit seinem Negergesichte, aber der Führer blickt hinweg und sagt traurig: »Das ist Chylaf el hawa, die Lüge der Luft, das ist Mah esch scheitan, das Wasser des Teufels. Wer dieser Lockung folgt, der reitet irre und ist verloren!«
    Ueberwindet der Reisende solche Gefahren, dann erquickt ihn doppelt der Anblick weißschimmernder Häuser, grünender Gärten und um diese her lagernder Zelte. Sein Herz ist von Dank erfüllt und alles Ungute, Unreine scheint von ihm gewichen zu sein. Desto größer ist sein Mitleid mit den verhüllten Gestalten, welche einsam seitwärts am Wege sitzen, weil es ihnen bei Todesstrafe verboten ist, mit einem gesunden Menschen in Berührung zu kommen. Es sind Aussätzige, dem entsetzlichen Schicksale verfallen, daß ihnen die Glieder einzeln absterben und sich aus den Gelenken lösen.
    »Ana dscho ahn, ana’ atschan – ich habe Hunger, ich habe Durst!« rufen sie in flehendem Tone.
    Wenn der Mitleidige sich nähert, so erheben sie sich, setzen ihre Schalen, in welche er die Gabe legen soll, zur Erde   und entfernen sich, um erst dann zurückzukehren, wenn er sich entfernt hat. Ihr Dank folgt ihm in Segensrufen nach.
    Auch die Mitglieder der britischen Mission kamen an solchen Bedauernswerten vorüber, bei deren Anblick biblische Erinnerungen erwachen; dann lagerten sie, als letzte Rast vor der Hauptstadt, bei einem Palmenwalde, an einem Wasser, welches ihnen und ihren müden Tieren reichliche Erquickung bot.
    Das war im April. Sie durften friedlich unter

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