Todesstoß / Thriller
Minneapolis, Samstag, 13. Februar, 21.10 Uhr
S ie war gehemmt. Nervös. Eine graue Maus. Mitte vierzig und bieder in ihrem hässlichen, braunen Kostüm, obwohl sie sich offensichtlich für diese Gelegenheit extra schick gemacht hatte. Die Mühe hätte sie sich sparen können.
Martha Brisbane war genau so, wie er es erwartet hatte. Er beobachtete sie nun schon fast eine geschlagene Stunde. Sobald sich die Tür des überfüllten Cafés öffnete, setzte sie sich erwartungsvoll auf, und wenn ein Mann eintrat, begannen ihre Augen zu leuchten. Aber die Männer gingen jedes Mal an ihr vorüber, ohne sie zu beachten. Und jedes Mal wurde das Leuchten in ihren Augen ein bisschen weniger. Dennoch harrte sie aus und behielt die Tür im Blick. Aber nach einer Stunde war aus der Erwartung in ihrer Miene Verzweiflung geworden. Er fragte sich, wie wenig Selbstwertgefühl ein Mensch haben musste, um so lange vergeblich zu warten. Zu hoffen.
Es gefiel ihm, die Träume solcher Menschen wie Seifenblasen zum Platzen zu bringen.
Schließlich sah sie mit einem Seufzen auf ihre Armbanduhr und griff nach Tasche und Mantel. Eine Stunde, sechs Minuten und zweiundvierzig Sekunden. Nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht.
Hinter der Theke warf ihr der Kellner durch seine Hornbrille einen mitfühlenden Blick zu. »Es schneit. Vielleicht ist er aufgehalten worden.«
Martha senkte resigniert den Kopf. »Ja, wahrscheinlich.«
Der Kellner schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. »Und Sie fahren bitte vorsichtig nach Hause.«
»Mach ich.«
Das war sein Stichwort. Er schlüpfte aus der Seitentür und beobachtete, wie Martha Brisbane, den Mantelkragen gegen den kalten Wind hochgeschlagen, auf ihren alten Ford Escort zustöckelte, die aufgequollenen Füße in Pumps mit fünf Zentimeter hohen Absätzen gezwängt. Sie schaffte es in den Wagen, bevor sich die Schleusen öffneten, und als die Tränen erst einmal strömten, hörte Martha nicht mehr auf. Sie weinte, als sie den Parkplatz verließ, und sie weinte noch, als sie auf den Highway einbog. Es war ein Wunder, dass sie nicht von der Straße abkam und tödlich verunglückte.
Fahr vorsichtig, Martha. Ich möchte, dass du unversehrt zu Hause ankommst.
Als sie vor ihrer Wohnung hielt, waren die Tränen versiegt, und sie schniefte. Ihr Gesicht war verquollen und rot. Sie hievte die schweren Tüten Katzenstreu und Futter, die sie vor ihrer geplatzten Verabredung gekauft hatte, aus dem Kofferraum und stolperte die Treppe zur Haustür hinauf.
Im Foyer des Mietshauses gab es eine Überwachungskamera, aber sie war kaputt. Dafür hatte er schon vor einigen Tagen gesorgt. Er lief voller Vorfreude die Treppen hinauf und öffnete ihr schwungvoll die Tür.
»Sie haben die Hände voll. Darf ich Ihnen helfen?«
Sie schüttelte den Kopf und brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Nein, es geht schon. Aber vielen Dank.«
Er erwiderte das Lächeln. »War mir ein Vergnügen.« Und es würde bald ein noch viel größeres sein.
Niedergeschlagen schleppte sie sich die drei Stockwerke zu ihrer Wohnung hoch und schwankte auf ihren hohen Absätzen unter dem Gewicht der Einkaufstaschen. Sie achtete nicht auf ihre Umgebung, und daher entging ihr, dass er hinter ihr lauerte.
Martha stellte die Tüten ab und kramte nach ihrem Schlüssel.
Herrgott, ich habe nicht den ganzen Abend Zeit. Nun mach schon.
Endlich hatte sie aufgeschlossen, hievte die Tüten wieder hoch und drückte die Tür mit der Schulter auf.
Jetzt.
Er sprang vor, presste ihr die Hand auf den Mund und zog sie mit einer geschmeidigen Bewegung in die Wohnung. Sie wehrte sich, versuchte, mit den schweren Taschen auszuholen, doch er drückte die Tür zu, lehnte sich dagegen und zog sie mit einem Ruck an sich. Wie durch Zauberhand beendete der Pistolenlauf an ihrer Schläfe ihre Gegenwehr.
»Halt still, Martha«, flüsterte er, »vielleicht lasse ich dich leben.« Nicht, dass das in Frage gekommen wäre.
Ganz sicher nicht.
»Stell die Taschen ab.«
Sie ließ sie zu Boden fallen.
»Besser«, murmelte er. Sie zitterte nun vor Angst, und genau so mochte er es.
Die Worte, die durch seine Hand gedämpft wurden, klangen wie »Bitte, bitte«. Das sagten seine Opfer immer. Und er mochte höfliche Opfer.
Verächtlich sah er sich um. Ihre Wohnung war ein einziges Chaos, überall lagen Zeitungen, Bücher und Magazine herum. Ihr Schreibtisch mit dem Computer war mit Papieren, benutzten Kaffeebechern und Haftnotizen zugemüllt.
Ihre Kleidung stammte noch aus
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