Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Sonnentag, als ich die Anstalt verließ, zum Kampfe gegen des Lebens Widerstand mit meinen Manuskripten bewaffnet. Ich hatte nach Hause geschrieben, um die Meinigen von meiner Heimkehr zu benachrichtigen. Wie freute ich mich auf das Wiedersehen. Angst vor Vorwürfen brauchte ich nicht zu haben; dies war ja schon längst durch Briefe geordnet. Ich wußte, daß ich willkommen sei und daß man mir mit keinem Worte wehe tun werde. Am meisten freute ich mich auf Großmutter. Wie mußte sie sich gegrämt und gehärmt haben! Und wie gern würde sie mir ihre alte, liebe, treue Hand entgegenstrecken. Wie entzückt würde sie über meine Pläne sein! Wie sehr würde sie mir helfen, sie auszudenken und so tief wie möglich auszuschöpfen! Ich ging von Zwickau nach Ernsttal, also genau denselben Weg, den ich damals als Knabe gegangen war, um in Spanien nach Hilfe zu suchen. Es läßt sich denken, was für Gedanken mich auf diesem Weg begleiteten. Ich hatte auf jenem Heimwege mit dem Vater den Vorsatz gefaßt, ihn nie wieder durch Derartiges zu betrüben; wie schlecht aber hatte ich Wort gehalten! Sollte ich heut etwa ähnliche Vorsätze fassen, für deren Erfüllung die Ohnmacht des Menschen keine Gewähr zu leisten vermag? Das »Märchen von Sitara« tauchte vor mir auf. Gehörte ich vielleicht zu denen, auf deren Seelen, wenn sie geboren werden, der Teufel wartet, um sie in das Elend zu schleudern, so daß sie verloren gehen? Alles Sträuben und Aufbäumen hilft nichts; sie sind dem Untergange geweiht. Gilt das auch mir?
Meine Gedanken wurden trüber und trüber, je mehr ich mich der Heimat näherte. Es war, als ob mir von dort aus böse Ahnungen entgegenwehten. Meine frohe Zuversicht schien mich verlassen zu wollen; ich mußte mir Mühe geben, sie festzuhalten. Von der Lungwitzer Höhe aus schaute ich über das Städtchen hin. Da schlängelten sich vor meinen Augen die Wege, die ich damals so oft gegangen war, in heißem Kampfe mit jenen fürchterlichen innern Stimmen liegend, die mir Tag und Nacht hindurch in einem fort die Worte »des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch« zuriefen. Und was war das? Indem ich hieran dachte, hörte ich ganz dieselbe Stimme erklingen, in mir, ganz deutlich, wie erst nur von Weitem, aber sie schienen sich zu nähern, »des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch!« Sollte und wollte sich das etwa wiederholen? Ich erschrack, wie ich noch nie erschrocken bin, und eilte von dieser Stelle und von dieser Erinnerung fort, die Höhe hinab, durch das Städtchen hindurch, nach Hause, nach Hause, nach Hause!
Ich kam eher, als man mich erwartete. Meine Eltern wohnten noch im ersten Stock desselben Hauses. Ich stieg die Treppe empor und dann gleich noch eine zweite hinauf nach dem Bodenraume, wo Großmutter sich immer am liebsten aufgehalten hatte. Ich wollte zunächst zu ihr und dann erst zu Vater, Mutter und Geschwistern. Da sah ich die wenigen Sachen, die sie besessen hatte; sie selbst aber war nicht da. Da stand ihre Lade, mit blauen und gelben Blumen bemalt. Sie war verschlossen, der Schlüssel abgezogen. Und da stand ihre Bettstelle; sie war leer. Ich eilte hinab in die Wohnstube. Da saßen die Eltern. Die Schwestern fehlten. Das war Zartgefühl. Sie hatten gemeint, die Eltern gingen vor. Ich grüßte gar nicht und fragte, wo Großmutter sei. »Tot – – – gestorben!« lautete die Antwort. »Wann?« »Schon voriges Jahr.« Da sank ich auf den Stuhl und legte Kopf und Arme aus den Tisch. Sie lebte nicht mehr! Man hatte es mir verschwiegen, um mich zu schonen, um mir die Gefangenschaft nicht noch zu erschweren. Das war ja recht gut gedacht; nun aber traf es mich um so wuchtiger. Sie war nicht eigentlich krank gewesen; sie war nur so hingeschwunden, vor Gram und Leid um – – – mich!
Es dauerte lange Zeit, ehe ich den Kopf wieder hob, um die Eltern nun zu grüßen. Sie erschracken. Sie sagten mir später, mein Gesicht habe schlimmer ausgesehen als dasjenige einer Leiche. Die Geschwister kamen hinzu. Sie freuten sich des Wiedersehens, aber sie schauten mich so sonderbar an, so scheu. Das war nichts weiter als der Reflex meines eigenen Gesichts. Ich gab mir zwar die größte Mühe, aber ich konnte den Schlag, der mich soeben getroffen hatte, doch nicht ganz verbergen. Ich wollte nur von Großmutter wissen, jetzt weiter nichts, und man erzählte mir. Sie hatte sehr viel von mir gesprochen, aber niemals ein Wort, welches mich hätte kränken müssen,
Weitere Kostenlose Bücher