Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
einverstanden. Sie lächelte ermutigend. Sie sagte ein liebes, tröstendes Wort. Sie war wie eine Heilige. Aber auch sie verstand mich nicht. Sie fühlte nur; sie ahnte. Und sie wünschte von ganzem Herzen, daß Alles so werden möchte, wie ich es mir ersehnte. Und als sie sah, wie fest und unerschütterlich ich an meine Zukunft glaubte, da glaubte auch sie und war so froh, wie eine Mutter sein kann, deren Kind noch so glücklich ist, sich auf Gott, auf die Menschheit und auf sich selbst verlassen zu dürfen. Ich aber fühlte mich einsam, einsam wie immer. Denn auch im ganzen Orte gab es keinen einzigen Menschen, der mich hätte verstehen wollen oder gar verstehen können. Und diese Einsamkeit war mir, grad mir, dem innerlich so schwer Angefochtenen, im höchsten Grade gefährlich. Nichts war mir nötiger als verständnisvolle Geselligkeit. Aber ich stand, wenn auch nicht äußerlich, so doch innerlich stets allein und war also den Gestalten, die mich bezwingen wollten, fast unausgesetzt und schutzlos preisgegeben. Und mitten in dieser Schutzlosigkeit wurde ich nun auch von andern Feinden gepackt, die, obgleich sie keine inneren, sondern äußerliche waren, doch ebenso wenig mit den Händen gefaßt werden konnten.
Meine Mutter hatte infolge ihres Berufes unausgesetzt in andern Familien zu verkehren. Sie war Vertrauensperson. Man hatte sie gern. Man teilte ihr Alles mit, ohne daß man sie um Verschwiegenheit zu bitten brauchte. Sie erfuhr Alles, was im Städtchen und in der Umgegend geschah. Es hatte irgendwo einen Einbruch gegeben. Jedermann sprach von ihm. Der Täter war entkommen. Bald gab es wieder einen, in derselben Weise ausgeführt. Dazu kamen einige Schwindeleien, wahrscheinlich von herabgekommenen Handwerksburschen in Szene gesetzt. Ich hörte gar nicht hin, als man es erzählte, bemerkte aber nach einiger Zeit, daß Mutter noch ernster als gewöhnlich war und mich, wenn sie glaubte, unbeobachtet zu sein, so eigentümlich mitleidig betrachtete. Ich blieb anfänglich still, glaubte aber sehr bald, sie nach dem Grunde fragen zu müssen. Sie wollte nicht antworten; ich bat aber so lange, bis sie es tat. Es zirkulierte ein Gerücht, ein unfaßbares Gerücht, daß ich jener Einbrecher sei. Wem sollte man es zutrauen, als mir, dem entlassenen Gefangenen? Ich lachte äußerlich dazu, innerlich aber war ich empört, und es gab einige schwere Nächte. Es brüllte vom Abend bis zum Morgen in meinem Innern. Die Stimmen schrieen mir zu: »Wehre dich, wie du willst, wir geben dich nicht los! Du gehörst zu uns! Wir zwingen dich, dich zu rächen! Du bist vor der Welt ein Schurke und mußt ein Schurke bleiben, wenn du Ruhe haben willst!« So klang es bei Nacht. Wenn ich am Tage arbeiten wollte, brachte ich nichts fertig. Ich konnte nicht essen. Mutter hatte es auch dem Vater gesagt. Beide baten mich, mir die Sache nicht zu Herzen zu nehmen. Sie konnten für mich eintreten. Sie wußten ja genau, daß ich in den betreffenden Zeiten nicht aus dem Haus gekommen war. Was wir erfuhren, war alles im Vertrauen gesagt. Kein Name wurde genannt. Darum gab es keinen Punkt, an dem ich zugreifen konnte, mich zu wehren. Aber es kam schlimmer. Die heimatliche Polizei wollte mir nicht wohl. Ich war mit Vertrauenszeugnis entlassen worden und darum ihrer Aufsicht entgangen. Jetzt glaubte sie, Veranlassung zu haben, sich mit mir zu beschäftigen. Es kamen einige neue Schelmenstreiche vor, deren Täter ganz unbedingt mit einer gewissen Intelligenz behaftet waren. Man glaubte, dies auf mich deuten zu müssen. Das war zu derselben Zeit, in der sich die schon erwähnte »Lügenschmiede« zu bilden begann. Neue Gerüchte kursierten, romantisch ausgeschmückt. Der Herr Wachtmeister erkundigte sich unter der Hand, wo ich an dem und dem Tag, zu der und der Zeit gewesen sei. Die Augen hingen an mir, wo ich mich sehen ließ; aber sobald ich diese Blicke wiedergab, schaute man schnell hinweg. Da kam ein armer Wurm, aber ein guter Kerl, ein Schulkamerad, der mich immer lieb gehabt hatte und auch jetzt noch an mir hing. Der war sprichwörtlich unbeholfen und unverzeihlich aufrichtig. Er hielt grob sein für Menschenpflicht. Der konnte es nicht länger aushalten. Er kam zu mir und erzählte mir auf Handschlag und Schweigepflicht Alles, was gegen mich im Schwange ging. Das war so dumm und doch so empörend, so leichtsinnig und gewissenlos, so – –so – – so – – so – – – ich fand keine Worte, dem armen, wohlmeinenden Menschen für seine
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