Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
1
Juli 2011
Im Büro der Vorsitzenden auf dem CHERUB-Campus saßen drei Frauen. Trotz der wegen der tief stehenden Abendsonne heruntergelassenen Jalousien musste die Klimaanlage gegen die Hochsommerhitze ankämpfen.
»Erzählen Sie mir von ihm«, verlangte Dr. D. Sie hatte einen starken New Yorker Akzent und betrachtete das Foto eines zwölfjährigen Jungen. »Das ist ein gut aussehender Junge. Hat er einen arabischen Einschlag?«
Dr. D. war sehr klein und näherte sich der Siebzig. Trotz der Hitze trug sie einen karierten Umhang, dicke graue Strümpfe und kniehohe Stiefel. Sie sah aus wie eine schräge alte Sekretärin, aber in Wahrheit war sie eine hochrangige Agentin des amerikanischen Geheimdienstes CIA.
Auch Zara Asker sah nicht gerade aus wie eine Spionin. Die vierzigjährige Vorsitzende von CHERUB, die Dr. D. gegenübersaß, trug eine billige Plastikuhr, und an ihrem Kleid konnte man ablesen, was ihr jüngster Sohn gegessen hatte.
»Ryan ist vor vierzehn Monaten zu CHERUB gekommen«, erklärte Zara. »Seine Großeltern kamen aus Syrien, Deutschland, Irland und Pakistan.«
Dr. D. hob eine Augenbraue. »Hört sich an wie der Anfang von einem schlechten Witz.«
»Ryan wuchs hauptsächlich in Saudi-Arabien und Russland auf. Sein Dad war Geologe in der Ölindustrie, geriet aber durch Glücksspiel und Alkohol in Schulden und endete als Leiche unter ein paar Müllsäcken. Kein Mensch weiß, ob es Mord oder Selbstmord war. Ryan kam 2009 mit seiner Mutter und drei jüngeren Brüdern nach Großbritannien. Die Mutter erschwindelte sich einen Platz in einem privaten Behandlungsprogramm für eine seltene Art von Krebserkrankung, flog dort aber hinaus, als sie den Überziehungskredit ihrer Geldkarten ausgeschöpft hatte. Die Einwanderungsbehörde versuchte, die Familie wieder nach Syrien zu schicken, aber dazu war die Frau zu krank. Sie starb völlig mittellos in einem staatlichen Krankenhaus und hinterließ vier Jungen unter elf Jahren. Weitere Familienangehörige sind nicht bekannt.«
»Und die Jungen sind alle bei CHERUB?«, erkundigte sich Dr. D.
Zara nickte. »Wir trennen Familien nie. Ryan ist der Älteste. Er hat Zwillingsbrüder, die bald zehn werden, und Theo ist sieben.«
»Sie sagten, dass Ryan noch nicht viel Erfahrung bei Missionen hat«, bemerkte Dr. D.
»Er hat erst ein paar eintägige Einsätze gehabt«, erklärte Zara. »Aber er setzt sich voll ein, und für die Operation, die Sie vorhaben, sollte er durchaus geeignet sein.«
Dr. D. nickte und ließ Ryans Foto wieder auf den gläsernen Tisch fallen. »Also, wann kann ich ihn kennenlernen?«
Ryan verließ gerade die Leichtathletikbahn des Campus und hatte keine Ahnung, dass über ihn gesprochen wurde. Es war brütend heiß, und als er sich mit dem Saum seines T-Shirts den Schweiß vom Gesicht wischte, zeigte sich deutlich ein Sixpack.
Der Zwölfjährige war muskulös, aber nicht massig. Er hatte braune Augen, glatte dunkle Haare, die einen Schnitt nötig gehabt hätten, und seit Kurzem einen silbernen Ohrring in einem Ohr. Er nahm zwei Schluck Wasser an einem ziemlich drucklosen Trinkbrunnen und ging die drei Stufen zu einer baufälligen Hütte hinauf, die das Personal vom Sportplatz benutzte.
Drinnen herrschte Halbdunkel, da das Milchglasfenster nach einem Treffer von einem Fußball vernagelt war. Es war niemand da, aber der Geruch der Trainer hing in den Trainingsanzügen und der muffigen Allwetterkleidung an den Wandhaken.
An einem Klemmbrett auf dem Fenstersims stapelten sich die Formulare. Wenn man zurückblätterte, konnte man alle kleineren Verbrechen der letzten vier Monate nachlesen, die mit Strafrunden abgebüßt wurden.
Eine Schweißperle tropfte auf das Din-A4-Blatt, als Ryan nach einem angeketteten Kugelschreiber griff und die Kästchen auf der ersten Seite ausfüllte: Zeit, Datum, Name, Agentennummer, Strafrundenzahl und Grund der Strafe .
Das letzte Kästchen ärgerte Ryan und fast hätte er Kein richtiger Grund eingetragen.
Er hatte kein Problem mit den strengen disziplinarischen Maßnahmen für Agenten, die bei CHERUB die Regeln brachen, aber fünf Kilometer laufen zu müssen, weil er einen Lachkrampf bekommen hatte, war lächerlich. Besonders, da andere Kinder, die das Gleiche getan hatten, straffrei ausgegangen waren.
»Willst du dich die ganze Nacht lang daran festhalten?«, fragte jemand gereizt.
Da er so keuchte, hatte er nicht gehört, wie hinter ihm ein Mädchen mit rotem T-Shirt und pinkfarbenen
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