Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Versenden sein.
Wenn die Broschüre erst später fertig wird, hat sie keinen Zweck; dann braucht man sie überhaupt gar nicht erst zu schreiben.
Sie wird an die Zeitungen versandt, die darüber berichten. Das soll auf die Richter wirken.
Sie wird auch den Richtern direkt vorgelegt. Sobald dies geschieht, ist May als Zeuge kaput.
Als der ehrliche, junge Mann das hörte, wurden seine Bedenken noch größer, als sie vorher gewesen waren. Als er diese äußerte und seiner Besorgnis, gerichtlich bestraft zu werden, Ausdruck gab, stellte Lebius ihm folgendes vor:
Wir Schriftsteller stehen überhaupt und stets mit einem Fuße im Gefängnisse.
Bestraft zu sein ist für uns eine gute Reklame. Auch ich bin schon oft vorbestraft.
Sie brauchen sich vor dem Gericht gar nicht zu fürchten. Sie sind noch nicht vorbestraft, Sie dürfen schwören. May aber darf nicht schwören.
May steht unter Polizeiaufsicht. Es ist ihm verboten, in einer Stadt zu wohnen. Darum wohnt er in Radebeul.
Ich bin ein großes, forensisches Talent. Wenn ich anfange zu sprechen, sind die Richter alle mein!
Wenn man in einem Prozesse steckt und man schreibt eine solche Broschüre, das wirkt ungeheuer bei den Richtern!
Die Frau May hat mich mit Tränen in den Augen um Gnade für ihren Mann gebeten.
May muß durch die Broschüre totgemacht werden. Alles übrige ist Beiwerk, um den wahren Zweck zu verschleiern!
Die Folge von diesen und ähnlichen sonderbaren Expektorationen war, daß Kahl beschloß, sich von dieser Sache zurückzuziehen. Er verbot Lebius, etwas von ihm zu drucken oder gar etwa seinen Namen für diese Broschüre zu mißbrauchen. Er richtete ganz dasselbe Verbot auch an den Verleger. Er glaubte, damit ganz sicher aus diesem Sumpfe wieder herausgestiegen zu sein. Aber er kannte Lebius und dessen Unverfrorenheit noch nicht. Die Broschüre erschien, und zwar genau am ersten April. Ihr Titel war:
Karl May,
ein Verderber der deutschen Jugend von
F. W. Kahl-Basel.
Kahl erfuhr erst durch eine Schweizer Zeitung, daß die Broschüre doch noch erschienen sei, und zwar unter seinem Namen. Er tat sofort die geeigneten Schritte. Der von Lebius gefürchtete Termin, an dem ich als Zeuge vernommen werden sollte, hat nicht stattgefunden. Ob er den Herren Richtern die Broschüre dennoch vorgelegt hat oder nicht, ist mir unbekannt. Aber an die Zeitungen versandt hat er sie schleunigst, und zwar mit Waschzetteln, Begleitworten usw., von deren verleumderischer Natur man eine Ahnung bekommt, wenn man nur folgende Zeilen liest, die er an die »Neue Züricher Zeitung« schickte:
»Herr May hat sich an mir dadurch gerächt, daß er durch Verleumdungen meine wirtschaftliche Stellung untergrub und mich in den Bankrott trieb. Sobald ich in einer andern Stadt festen Fuß gefaßt hatte, erschien er wieder auf der Bildfläche, um dasselbe Manöver zu wiederholen. Dabei liebt er es, bevor er zu einem neuen Schlage gegen mich ausholt, mich jeweils in meiner Wohnung aufzusuchen und mit tränenden Augen um Frieden zu bitten.«
Ueber den Inhalt dieser Broschüre habe ich hier nicht zu sprechen. Ganz selbstverständlich waren meine Vorstrafen aufgezählt und auch noch etwas mehr dazu. Das schickte er in alle Welt hinaus, um mich nach Münchmeyerschem Rezept »kaput« zu machen. Ich erlangte eine einstweilige Verfügung gegen sie. Sie durfte nicht weitergedruckt und weiterverarbeitet werden. Und ich erhob Privatanklage wegen Beleidigung gegen ihn. Diese Privatklage konnte nicht zur Verhandlung kommen, weil mein Rechtsanwalt alle meine Beweise, und deren waren weit über hundert, verloren hatte. Sie fanden sich erst dann, als es zu spät war, bei ihm wieder. Ich war also gezwungen, auf die Vergleichsvorschläge, welche der Vorsitzende machte, einzugehen. Lebius nahm alle seine Anwürfe gegen mich, materielle wie formelle, zurück, drückte sein Bedauern aus, mich angegriffen zu haben, und versprach, mich von nun an in Ruhe zu lassen. Das tat er durch seine Unterschrift. Es war mir unmöglich, einem solchen, vor Gericht gegebenen Versprechen nicht zu glauben. Und doch war es eine Untreue und Gewissenlosigkeit sondergleichen, daß er mir dieses Versprechen gab, denn er konnte es mir nicht anders geben, als in der Absicht, es nicht zu halten. Er hatte sich nämlich mit meiner geschiedenen Frau in Verbindung gesetzt. Sie fühlte, wie meist alle geschiedenen Frauen, eine unverständige Schärfe gegen ihren geschiedenen Mann; die trachtete er, für sich auszunutzen. Er
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