Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
begrüßt hatte, namentlich mit den Ziebolds zu schaffen, sei es, weil er in seiner Eigenschaft als Zwischenträger und Gelegenheitsmacher allerhand unaufgeklärte Beziehungen zu ihnen hatte, oder weil er einfach zeigen wollte, daß er das Recht habe, sich über das Gerede der Leute wegzusetzen und seine Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen zu lassen. An Schimmelpenning, der mittlerweile seine Stellung mit halbrechts gewechselt und sich an einen altmodischen Eckschrank gelehnt hatte, ging er ohne Gruß vorüber; beide maßen sich mit einem Ausdruck von Geringschätzung.
»Wir sind nun alle beisammen«, nahm Frau Hulen das Wort, »und ich denke, wir wollen recht fröhlich und ausgelassen sein. Nicht wahr, liebe Laacke? Sie singen uns doch nachher etwas? ›Schweizerfamilie‹ oder ›Bei Männern, welche Liebe fühlen‹.«
»Aber liebe Hulen.«
»Warum nicht, Laackechen? Es ist ja bloß ein Lied. Und Mamsell Ulrike hört es gewiß gern und wir andern auch. Und nicht wahr, Herr Ziebold, Sie begleiten doch? Aber nun wollen wir uns zu Tische setzen. Bitte, liebe Zunzen, helfen Sie mir den Tisch hereinbringen.«
Unsere gute Hulen hatte die letzten Worte sehr laut gesprochen; nichtsdestoweniger antwortete die Alte, die vielleicht wirklich nicht gehört hatte, vielleicht auch nur ärgerlich war, zu dieser Dienstleistung wie selbstverständlich herangezogen zu werden: »Na, ich denke doch bis zehn«, worauf sich Mamsell Laacke, um allen weiteren Erörterungen vorzubeugen, mit fast jugendlicher Raschheit erhob und den Eßtisch aus der Küche hereintragen half. Stühle wurden gerückt, und in kürzester Zeit saß alles: Klemm obenan, Frau Hulen unten, die Zunzen dicht neben ihr; dann kamen die Pfandleihersleute, an beiden Ecken einander gegenüber; neben Ziebold, wie sie es sich ausbedungen hatte, die Laacke.
Alle Speisen standen schon in der Mitte, als erster Gang eine große Schüssel mit Mohnpilen, daneben links ein Heringssalat und rechts eine Sülze. Alles reich gewürzt; auf dem Mohn eine dichte Lage von gestoßenem Zimt, auf dem Salat kleine Zwiebeln, die mit Pfeffergurken und sauren Kirschen abwechselten. Ein echtes Berliner Essen.
»Bitte, so vorliebzunehmen; Mamsell Ulrike, wollen Sie nicht so gut sein und die Pilen herumgehen lassen? Gott, wie ich mich freue!«
»Ganz auf unserer Seite«, antwortete Herr Ziebold und putzte erst seine Brille, dann heimlich auch die Gabel am Tischtuchzipfel ab.
Was das Gespräch anging, so konnte sich’s aller Wahrscheinlichkeit nach nur darum handeln, ob es durch Klemm oder Schimmelpenning geführt werden sollte; Grüneberg war zu einfältig, und Ziebold, der in seinen jungen Jahren ein echter Berliner Vielsprecher gewesen war, hatte sich inzwischen aus diesem Geschäft zurückgezogen und begnügte sich damit, die Reden anderer mit einigen Schlagwörtern zu begleiten.
»Sagen Sie, liebe Hulen«, nahm Schimmelpenning das Wort, »wie heißt denn eigentlich der junge Herr, der bei Ihnen wohnt?«
»Vitzewitz, Herr Nuntius.«
»Vitzewitz«, wiederholte dieser, »ein sonderbarer Name.«
»Es kann nicht jeder Schimmelpenning heißen«, sagte Klemm und wechselte Blicke mit seinem Gegner. »Übrigens, wenn ich recht unterrichtet bin, heißt er von Vitzewitz.«
Schimmelpenning war gerade gescheit genug, um die Malice herauszufühlen, ignorierte die Zwischenrede aber völlig und fuhr, zu Frau Hulen gewandt, fort: »Was studiert er denn eigentlich?«
»Er studiert… es ist so was Fremdes und Lateinisches, und wenn er noch ein paar Jahre dabei bleibt, dann kommt er ans Kammergericht.«
»Nu, nu«, sagte Schimmelpenning und reckte sich etwas höher.
»Aber er wird nicht dabei bleiben; er hat immer anderes vor und liest den ganzen Tag Komödienstücke von einem Mohr, der seine Frau würgte, und von einem alten König, der wahnsinnig wurde, weil ihn seine Kinder, noch dazu Töchter, im Stiche ließen. Ich höre das immer, denn er spricht so laut, daß es die Zunzen durch die Wand hören könnte, nicht wahr, liebe Zunz, und wenn ich dann anklopfe und ihm einen Brief bringe oder eine Flasche frisches Wasser, dann seh’ ich mitunter, daß er geweint hat. Ja, Sie lachen, Herr Schimmelpenning, aber er hat ein weiches Herz, und ein weiches Herz ist keine Schande. Ich könnte davon erzählen, wie gut er ist.«
»Nun, so erzählen Sie doch«, rief Ulrike, während Frau Ziebold und ihr Mann sich wieder verständnisvoll ansahen.
Die Hulen aber fuhr fort: »Nun gut, Ulrikchen, ich
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