Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Seidentopf, die Schorlemmer, Marie? Denke Dir, ich träumte diese Nacht von ihr, und als was sah ich sie? Als Braut. In einem langen, langen Schleier stand sie vor dem Altar; aber es war nicht der Altar der Hohen-Vietzer Kirche. Ihr Kleid war weiß und leicht wie der Schleier und mit Sternchen übersät. Sie sah sehr schön aus, und wer meinst Du, daß ihr Bräutigam war? Drosselstein. Nicht unser alter, sondern ein junger; groß und schlank und in eine Uniform gekleidet, in der ich unseren Hohen-Ziesarschen Freund nie gesehen habe. Als ich mich heute früh des Traumes entsann, mußt’ ich an das denken, was Du so oft über Marie gesagt hast: Du würdest dich nicht wundern, eine goldene Kutsche bei Kniehases vorfahren und die kleine Prinzessin mit verweinten und zugleich freudestrahlenden Augen neben ihrem Prinzen Platz nehmen zu sehen. Du hast ihr Wesen darin getroffen. Es war doch nur in der Ordnung, daß sie Othegravens Antrag ablehnte. Damals mißbilligte ich es; es schien mir eine Unklugheit, wenn nicht Schlimmeres. Aber ich hab’ ihr unrecht getan. Er ist aus Münsterland, und sie ist aus Feenland, und alles Westfälische ist der letzte Fleck der Erde, mit dem sich die Feen befreunden können.
An Faulstich und Tante Amelie habe ich heute früh geschrieben. Wenig zu meiner Zufriedenheit. Die Briefe an die Gräfintante passen mir nie; ich weiß nicht, woran es liegt. Ich sollte mir einen Sammelkasten für Anekdoten und Bonmots anlegen und diesen Kasten einfach ausschütten, wenn ich einen Brief an die Tante zu schreiben habe. Aber dergleichen kann ich nicht. Ich leide mitunter unter meiner Schwerfälligkeit, und um so mehr, als es derselbe Zug ist, den mir Kathinka nicht verzeiht.
Ich werde sie heute abend sehen, auch Tubal. Dieser ist viel mit Bninski und dem Rittmeister von Hirschfeldt zusammen, einem ausgezeichneten Offizier, der in Spanien war (auf englischer Seite), was aber nicht hindert, daß er sich mit dem Grafen befreundet hat. Das letztemal, daß ich Tubal sah – es war in Lehnin, während wir die Kirche besuchten –, fragte er mich: ›Wann reisen wir nach Hohen-Vietz?‹ Ich lasse dahingestellt sein, ob ihm dabei die Enrollierung in das Landsturmbataillon Lebus oder seine Kusine Renate mehr am Herzen lag.
Und nun lebe wohl. Ich sehe heiterer in die Zukunft als seit lange. Alles läßt sich gut an, das Große und das Kleine. Und das Kleine ist die Hauptsache, denn es ist das Ich. Gruß an Papa und die Freunde.
Dein Lewin .«
Es war inzwischen ein Uhr geworden, und da sein Mittagsweg ihn ohnehin an dem großen Postgebäude vorüberführte, so unterzog sich Lewin der Mühe, die fünf Briefe, die das Ergebnis dieses Vormittags waren, selbst am Schalter abzugeben. Neben der Post war das Ladalinskische Haus; er sah hinauf, aber in allen Zimmern der ersten Etage, auch in dem des Geheimrats, waren die Rouleaus herabgelassen. Er sann einen Augenblick nach, was die Ursache davon sein könne, vergaß aber den gehabten Eindruck wieder, als er an der Ecke der Stechbahn Jürgaß begegnete, mit dem er nun ein kurzes Gespräch über die nächste Kastaliasitzung führte.
»Auf Dienstag!« damit trennten sie sich, und Lewin, nachdem er in der Taubenstraße an alter Stelle sein einfaches Mittagsmahl eingenommen hatte, ging auf die lange, der ehemaligen Berliner Stadtmauer entsprechende Wallstraße zu, von der aus er – in nur geringer Entfernung vom Spittelmarkt – in die aus alten und stattlichen, aber freilich auch heruntergekommenen Häusern bestehende Kreuzgasse einbog.
In einem dieser alten und stattlichen Häuser wohnte Hansen-Grell , zu dem sich Lewin um seiner Schlichtheit und kaum minder um seines romantischen, ebendieser Schlichtheit fast widersprechenden Zuges willen von Anfang an in hohem Maße hingezogen gefühlt hatte. Eine Aufforderung zu einem Besuche war nie ausgesprochen worden, aber als sie vor zwei Tagen, wo ein Zufall sie zusammengeführt, sich nach längerem und sehr eingehendem Geplauder wieder getrennt hatten, hatte Lewin den Entschluß gefaßt, diesen Besuch in Grells Wohnung auch ohne Aufforderung zu machen. Es war ein Hochparterre. Acht oder zehn Steinstufen, ausgelaufen und von einem verbogenen Eisengeländer eingefaßt, führten hinauf. An der Tür, mit dicker Feder auf ein halbes Kartenblatt geschrieben, stand Hansen-Grell .
Lewin klopfte.
»Herein!«
Es war eine in drei Felder geteilte, nur mit dem vordersten Drittel sich öffnende Tür, gerade breit genug, einen
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