Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
wir sahen den Sand, der frisch aufgeworfen auf dem Schnee lag. Und mir zitterte das Herz, denn fünf Mann und ein Sergeant waren jetzt aus dem Karree vorgetreten, und sie verbanden ihm die Augen mit seinem Taschentuch. Ein altes blaues Tuch mit weißen Punkten. Und nun sollt’ er niederknien. Aber da mit eins riß er das Tuch wieder ab und trat auf den General zu, der keine zehn Schritt von ihm hielt, und sagte was, was ich nicht hören konnte. Aber ich sah, daß der alte Füllgraf nickte und mit der Hand über seine Augen fuhr. Und da war es, als ob dem jungen Menschen leicht ums Herz geworden wäre, und er stellte sich gerad aufwärts hin und sah lange gen Himmel, wohl eine Minute lang. Und nun war er fertig, und mit der linken Hand, in der er noch das blaue Tuch hielt, schlug er an seine Brust und rief: ›Hierher, Kameraden, hier sitzt das preußische Herz. Feuer!‹ Und die Salve krachte, und im nächsten Augenblicke war alles vorbei. Der alte Füllgraf aber ritt heran und sagte zu dem Kommando: ›Gebt mir das Tuch.‹ Aber der Tote hielt es so fest, daß es Mühe machte. Dann schlossen sie wieder auf und rückten in Sektionen an uns vorbei. Jetzt spielten auch die Pfeifer, und ich merkte wohl, daß es etwas Lustiges sein sollte. Aber mir war nicht lustig ums Herz, als ich so hinterherging. Es war erst ein Uhr, und erst um sechs hab’ ich meinen Schein gekriegt. Waren das fünf Stunden!«
Damit legte er den vom alten Füllgraf unterzeichneten Quittungsschein auf den Tisch. Jeder von den Bauern nahm das Blatt und sah nach der Unterschrift. Dann sagte Sahnepott: »Und warum es gerade sein eigenes Bataillon sein mußte! Sie haben ja Franzosen genug. Aber das ist solch französischer Kniff. Immer was Apartes. Und grausam dazu.«
»Sei doch still, Sahnepott«, sagte Kümmritz verdrießlich. »Es kann nicht jeder in die Milchschüssel fallen. Du redst, wie du’s verstehst. Apartes! Dummes Zeug. Ein Deserteur wird totgeschossen, das is in der ganzen Welt so. Bei Pirmasens faßten wir auch einen, war auch ein hübscher Junge. Aber was half’s ihm? Krieg ist Krieg.«
Miekley wollte Sahnepott zustimmen, Kümmritz aber, der in Erregung war, ließ ihn nicht zu Worte kommen und sagte nur: »Ich will nichts hören, Miekley. Du bist in die Traktätchen gefallen, und das ist das Allerschlimmste. Uhlenhorst will den Krieg abschaffen, aber der Krieg wird Uhlenhorsten abschaffen. Denn wenn wir erst den Krieg haben, dann spricht er vor leeren Bänken. Und das kann jeden Tag kommen. Ich sag’ euch, es geht los, und dann wollen wir uns wieder sprechen. Der alte Groß-Quirlsdorfsche hat was vor, und den kenn’ ich, mit dem ist schlecht Kirschen pflücken, und Uhlenhorst wird ihn nicht anders machen. Landsturm oder nicht, er liest euch die Kriegsartikel vor, und was nicht standhält bei der Fahne, das kommt vors Kriegsgericht. Und was das bedeutet, das wißt ihr.«
Sahnepott und Miekley schüttelten den Kopf.
»Schüttelt nur; ich sag’ euch, es wird ernsthaft; wir erleben was, und hier herum wird es am schlimmsten. Das hab’ ich aus der alten Prophezeiung. Wißt ihr, was die sagt? Es werden rote Reiter am Himmel ziehen, und die Menschen werden so rar werden, wie die Störche anno 57 rar waren, wo der große Sturm sie verschlagen hatte, daß man alle fünf Meilen nur einen sah. Und so wie Gott damals seinen Gottesvogel geschlagen hat, so wird er jetzt die Menschen schlagen. Der Frieden aber soll bei Chorinchen geschlossen werden.«
»Ja«, sagte Krull, »ich hab’ es auch gelesen letzten Sonntag im Küstrinschen Anzeiger; ‘s war auf der letzten Seite, wo die kleinen Geschichten stehen und die Rätsel.«
»Und da steht auch heute die Antwort«, sagte Kniehase und trat vom Fenster her an den Mitteltisch heran. »Wollt ihr’s hören?«
»Ja«, riefen alle.
»Nun denn: Antwort auf den Klagepropheten in Nummer fünf des Anzeigers .«
»Und was schreibt er?«
»1812 wird viel Schnee fallen, und in Moskau wird ein großes Feuer sein.«
»Der macht sich’s bequem«, brummte der alte Scharwenka, »der prophezeit ins Vergangene hinein.«
»1813 aber«, fuhr Kniehase zu lesen fort, »da wird eine Zeit kommen, wie noch keine war auf Erden. Da werden die alten Leute nicht zänkisch und die jungen Mädchen nicht neugierig sein. Die Doktors werden keine Geschichten mehr erzählen, und die Richter nur bei Nacht schlafen. Und man wird nur im Herbst Wein machen. Die Reichen werden menschlich und die Bettler werden fleißig
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