Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Beispiel, die ganze Welt könne nie schlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn wir zur Ruhe gingen) an Volkstümlichkeit nur noch gewonnen hat.
Glaub und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die Kümmernisse des Lebens ihn niederdrücken wollten, aber ein Gefühl der Einsamkeit blieb ihm, und sein Herz sehnte sich nach Genossenschaft, nach einem Herd. Im vierten Jahre seines Amts bewarb er sich um die Hand Maria Bertholds, der ältesten Tochter jenes frommen Hauses, in dem er so viele Jahre glücklich gewesen war, und Propst Vehr von Sankt Nikolai, der beide seit lange gekannt und geliebt hatte, legte beider Hände ineinander. Um die Mitte Februar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder Propsteiwohnung ein.
Innige Liebe hatte das Band geschlossen, und Paul Gerhardt glaubte nun den Segen um sich zu haben, der alle bösen Geister von seiner Schwelle fernhalten würde. Neu gekräftigt in seinem Glauben und neu gestimmt zur Dankbarkeit, war es um diese Zeit wohl, daß er den hohen Freudensang anstimmte:
Warum sollt ich mich denn grämen?
Hab ich doch
Christum noch,
Wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
Den mir schon
Gottes Sohn
Beigelegt im Glauben?
Aber es war anders bestimmt. Die Freudigkeit des Gemüts sollt ihm nicht zufallen , er sollte sie sich erringen in immer schwerer werdenden Kämpfen. Ein Töchterlein, das ihm geboren wurde, starb bald, und die Kränkungen, die das Auftreten Alborns im Geleite hatte, zehrten immer mehr an Gesundheit und Leben seiner nur zart gearteten Frau. Nicht frohe Tage waren diese Mittenwalder Tage, selbst äußere Not gesellte sich, und als der auch jetzt noch in seinem Glauben und Hoffen unerschüttert Bleibende jenes Vertrauenslied anstimmte, das von Strophe zu Strophe die Worte wiederholt: »Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit«, da war das Herz der sonst frommen Frau bereits klein und ängstlich genug geworden, um sich mißgestimmt und bitter fast von einer Glaubenskraft abzuwenden, die weit über die Kraft ihres eigenen schwachen Herzens hinausging. Tiefe Schwermut ergriff sie. Paul Gerhardt selbst aber, in jener Freudigkeit der Seele, wie sie das Vorgefühl eines nahen Sieges und endlicher Erhörung leiht, schlug seine Bibel auf und las die Worte des Psalmisten: »Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn: er wird’s wohlmachen.« Und einem Funken gleich fiel das Wort in seine Brust. Er mußte freier aufatmen, die Stube ward ihm zu eng, und auf und ab schreitend in den Gängen des alten Propsteigartens, entquollen ihm die ersten Strophen zu jenem großen Trostes- und Vertrauensliede: »Befiehl du deine Wege«.
Bewegt, aber auch erhoben ging er in das Haus zurück, empfand er sich doch als Träger einer Botschaft, der kein Herz widerstehen könne. Und siehe da, an der schwermütigen Stimmung seiner Frau erprobte das Lied zum ersten Male seine wunderbare Kraft. Alles Leid floß hin in Tränen, alle Trübsal wurde Licht, und eh noch der Rausch gehobenster Empfindung vorüber war, war auch schon die Hülfe da – ein Abgesandter, ein Brief, der den Mittenwalder Propst als Diakonus an die Berliner Nikolaikirche berief. Er reichte seiner Hausfrau das Schreiben und sagte ruhig: »Siehe, wie Gott sorget. Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen .«
Paul Gerhardt verließ Mittenwalde im Juli 1657. Dem weitern Gange seines Lebens folgen wir an dieser Stelle nicht, aber die Frage drängt sich auf: Was ist der Stadt, in der einige seiner schönsten Lieder entstanden, aus der Zeit seines Lebens und Wirkens erhalten geblieben? Sind noch Plätze da, die von ihm erzählen, und welche sind es?
Die Stadt bietet nichts. Das Propsteigebäude, das noch vor einigen fünfzig Jahren bewohnt war, ist seitdem abgebrochen, und selbst der Garten, in dessen Gängen er mutmaßlich das »Befiehl du deine Wege« dichtete, liegt, wüst geworden, ohne Zaun und Einfassung zwischen zwei Nachbargärten.
Die Stadt bietet nichts mehr, wohl aber die Kirche . Dicht unter seinem Bildnis, dessen ich bereits ausführlicher erwähnte, sehen wir eine Steintafel in die Wand des Seitenschiffes eingelassen, die folgende Inschrift trägt: »Maria Elisabeth – Pauli Gerhardts, damaligen Propstes allhier zu Mittenwalde, und Anna Maria Bertholds erstgebornes, herzliebes Töchterlein, so zur Welt kommen den 19. Mai Anno 1656 und wieder abgeschieden den 14. Januar Anno 1657 – hat allhier ihr Ruhebettlein und dieses Täflein von ihren
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