Lords of Salem: Roman (German Edition)
1
S ie erwachte. Auf ihren Armen lastete ein Druck, als hätte irgendetwas sie eingeklemmt, und als man die Hände höher über ihren Kopf zerrte, begriff sie, dass sie festgehalten wurden. Sie schlug die Augen auf, aber mit ihrem Sehvermögen stimmte etwas nicht, alles war verschwommen, alles verzerrt, alles einfach falsch. Was geschah mit ihr? War sie krank? Hatte man sie vergiftet?
Ihre Augen zuckten hektisch umher. Gleich hinter sich konnte sie eine Reihe von Bettpfosten erkennen, die sich langsam zu einem einzigen Bettpfosten vereinte, ehe sie sich wieder ausbreiteten. Hatte sie getrunken? Nein, sie glaubte nicht, sie konnte sich nicht daran erinnern. Sie sollte auch nicht trinken, denn das wäre gefährlich für das Kind. Aber etwas stimmte nicht. Ihr Herz schlug falsch, es klopfte zu schnell in ihrer Brust, und die Zunge lag geschwollen in der Kehle. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber es kam nur sinnloses Gestammel heraus.
Jemand hielt ihr etwas stechend und bitter Riechendes unter die Nase, und sie drehte sich angeekelt zur Seite. Als sie den Kopf schüttelte, klärten sich die Dinge einen Augenblick lang. Sie befand sich in einem Zimmer, doch es war nicht ihr eigenes. Ein seltsamer erdiger Geruch lag in der Luft. Die Wände waren grob gezimmert, eine Art Hütte oder Schuppen, nicht in der Stadt – eine Behausung, auf die man tief im Wald stieß, mitten in der Wildnis. Es war kein Ort, an dem sie schon einmal gewesen war.
Über sich erkannte sie einen Moment lang deutlich einen hölzernen Vogelkäfig, bevor die Umrisse verschwammen und die Bilder sich vervielfältigten. Doch darin befand sich weder ein Fink noch ein Kanarienvogel noch ein anderer hübscher Singvogel; der Käfig war nahezu vollständig mit einem großen Huhn ausgefüllt. Man konnte sich kaum vorstellen, wie es dort hineingekommen war. Das Tier war nicht in der Lage, sich zu rühren oder umzudrehen, und wenn es nicht regelmäßig mit dem Kopf gegen die Stäbe geschlagen hätte, hätte sie nicht gewusst, ob es lebendig oder tot war. Vom Boden des Käfigs hing etwas herab, das hin und her schwang und sich ständig im Kreis drehte. Was war das? Es schien aus Knochenstücken und Blutklumpen zu bestehen, aber das war doch nicht möglich, oder? Ihre Wahrnehmung musste sie täuschen, es war bestimmt nur Einbildung.
Sie versuchte, ihre Augen wieder auf den Käfig zu fokussieren, bis sich etwas dazwischenschob, ein verzerrtes, kaputtes Gesicht. Wieder wurde etwas unter ihre Nase gehalten, dessen Geruch wie ein Messer tief in ihr Gehirn stach, und einige Dinge wurden klarer und andere weniger klar.
Der Raum um sie herum wurde undeutlicher, schien nun in einer seltsamen, unheimlichen Hitze zu flimmern. Das verzerrte Gesicht jedoch wurde fassbarer: ein Frauengesicht, streng und fanatisch und mit leicht gerunzelter Stirn. Es wurde von einer dunklen Kapuze umrahmt, und eine weite schwarze Robe verbarg den Körper darunter. Aus dem Kragen ragte der Pelz eines Tieres hervor, eines Fuchses oder sogar eines Wolfs, kaum getrocknet und noch blutig.
Sie schüttelte erneut den Kopf. Nun wurde sie richtig wach und begann, klarer zu sehen. Doch das, was sie sah, war unglaublich.
Die Frau mit der Robe trat einen Schritt zur Seite und hob eine Hand, in der etwas hell aufblitzte. Ein Messer.
Ihre Panik wuchs. Sie versuchte, die Arme zu senken, aber sie wurden festgehalten. Sie wand sich und blickte hinter sich, wo zwei schmutzige Hände mit abgebrochenen Nägeln grob ihre Handgelenke umklammerten, während eine weitere Hand ein Seil fest darum band. Sie spürte, wie die Nägel sich in ihre Haut bohrten und Blut herausdrang. Sie wollte die Beine vom Bett schwingen, um aufzustehen, doch sie konnte sie ebenfalls kaum bewegen. Es gelang ihr, den Kopf so weit zu heben, dass sie über ihren geschwollenen Bauch hinweg ihre gefesselten und an das untere Ende des Betts gebundenen Füße sehen konnte. Dann wurden ihre Arme kräftig nach hinten gerissen, und Schmerz schoss durch die Schultergelenke. Sie warf den Kopf in den Nacken und sah, dass sie an einen der Pfosten am Kopfende des Betts gebunden worden waren. Sie war nun stramm auf das Bett gefesselt, unfähig, sich zu rühren.
» Warum tun Sie mir das an?«, fragte sie die Gestalt in der Robe. Ihre Stimme klang merkwürdig und fremd in ihren eigenen Ohren, krächzend vor Angst, die Worte verschwommen und träge. Die Frau antwortete nicht. Sie schien sie nicht einmal gehört zu haben. Sie schwang nur die funkelnde
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