Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Bild. Wie losgelöste Schollen treiben die Inseln den See entlang (oder scheinen doch zu treiben), ein satter Fischreiher fliegt landeinwärts, und die Tücher der Mägde, die beim Heuen beschäftigt sind, flattern lustig im Winde. Vom nächsten Dorf her kommen Kinder des Wegs und verkürzen sich die Zeit mit Spiel und Neckereien. In Büscheln reißen die Jungen den roten Mohn aus dem Kornfeld, und immer, wenn sie die Mädchen zu haschen und mit den Büscheln zu treffen suchen, stäuben die roten Blätter nach allen Seiten hin durch die Luft.
So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaumhecke, ducken uns vor dem Wind, wenn er zu scharf bergan fährt, und lugen wieder aus, wenn er pausiert und zu neuem Angriff sich rüstet.
In diesem Augenblick aber trägt er die Klänge der Mittagsglocke laut und vernehmbar herüber und mahnt uns zur Rückkehr in die Stadt. Im »Goldenen Stern« erwartet uns ein gedeckter Tisch; ich eile damit und spring ins Boot, um noch einmal über den See zu fahren. Und diesmal allein. Die kurzen Wellen tanzen um mich her, das Wasser zeigt eine leichte Trübe, der Himmel ist grau. Ein Gefühl beschleicht mich wieder, stärker noch als zuvor, als ruhe hier etwas, das sprechen wolle – ein Geheimnis, eine Geschichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die Wellen klatschen an den Kiel, und der Wind biegt das Rohr knisternd nieder. Sonst alles stumm. Die Wolken sinken immer tiefer; nun öffnen sie sich, und hinter der grauen Wand, die der niederfallende Regen nach allen Seiten hin aufrichtet, verschwindet die Landschaft, Stadt und Schloß.
So sah ich den Teupitz-See zuletzt und ich habe Sehnsucht, ihn wiederzusehn. Ist es seine Schönheit allein, oder zieht mich der Zauber, den das Schweigen hat? Jenes Schweigen, das etwas verschweigt.
3. Mittenwalde
»Befiehl du deine Wege
Und was das Herze kränkt
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt…«
Und kaum das Lied vernommen,
Ist über sie gekommen
Der Friede Gottes aus der Höh.
Schmidt von Lübeck
Teupitz war der äußerste Punkt unserer Pfingstfahrt; auf dem Rückwege lassen wir es uns angelegen sein, an Mittenwalde nicht ohne Ansprache vorüberzugehn.
Im allgemeinen darf man fragen: Wer reist nach Mittenwalde? Niemand. Und doch ist es ein sehenswerter Ort, der Anspruch hat auf einen Besuch in seinen Mauern. Nicht als ob es eine schöne Stadt wäre, nein; aber schön oder nicht, es ist sehenswert, weil es alt genug ist um eine Geschichte zu haben.
Es hat sogar eine Vorgeschichte: Sagen und Traditionen von einem Alt -Mittenwalde, das, in unmittelbarer Nähe der jetzigen Stadt, auf der westlichen Feldmark derselben gelegen war. Und in der Tat, unter Wiesen- und Ackerland finden sich an dieser Stelle noch allerlei Steinfundamente vor, und während das Auge des Fremden über Felder und Schläge zu blicken glaubt, sprechen die Mittenwalder vom »Vogelsang«, vom »Pennigsberg«, vom »Burgwall« etc., als ob all diese Dinge noch sichtbarlich vor ihnen stünden.
Daß hier früher, und zwar in einem enggezogenen Halbkreis um die jetzige Stadt her, ein anderes Mittenwalde stand, scheint unzweifelhaft. Es finden sich beispielsweis allerlei Münzen am »Pennigsberg«, und als Ende der fünfziger Jahre Kanalbauten und Erdarbeiten am »Burgwall« zur Ausführung kamen, stieß man auf Eichenbohlen, die wohl drei Fuß hoch mit Feldsteinen überschüttet waren. Ersichtlich ein Damm, der früher – mitten durch den Sumpf hindurch – erst nach dem Burg wall und von diesem aus nach der inmitten desselben gelegenen Burg führte.
So die Traditionen, und so das Tatsächliche, das jene Traditionen unterstützt. Aber so gewiß dadurch der Beweis geführt ist, daß auf der westlichen Feldmark ein anderer, längst untergegangener Ort existierte, sowenig ist dadurch bewiesen, welcher Art der Ort war und in welchem Verhältnis er zu der Burg und dem Pennigsberge stand. Wie verhielt es sich damit? War die Burg ein Schutz der Stadt oder umgekehrt ein Trutz derselben? Waren Stadt und Burg wendisch, oder waren sie deutsch? Befehdeten sie einen gemeinschaftlichen Feind, oder befehdeten sie sich untereinander? Alle diese Fragen drängen sich auf, ohne daß eine Lösung bisher gefunden wäre. Die Tradition scheint geneigt, einen alten Wendenort anzunehmen, der inmitten des »Burgwalls« seine Burg und auf dem »Pennigsberg« seine Begräbnisstätte hatte. Bevor Besseres geboten ist, ist es vielleicht am besten, dabei zu verharren.
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