Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
dem es hieß, daß er einen Kampf mit chinesischen Seeräubern siegreich bestanden habe. Die Seeräuber führten ein langrohriges Metallgeschütz mit sich, das besser schoß als die rohen, gußeisernen Kanonen, von denen der »Mentor« etliche an Bord hatte. Dazu war das Piratenboot viel schneller, und so kam denn unser Swinemünder Kauffahrer alsbald in eine schlimme Lage. Der Kapitän aber wußte sich zu helfen. Er ließ all seine großen Böller an die eine Seite des Schiffes schaffen und mäßigte jetzt die Fahrt absichtlich, um den Verfolgern das Näherkommen leichter zu machen. Und nun war ihr Boot auch wirklich heran, und die Piraten trafen schon Anstalt, von der einen Seite her das Schiff zu ersteigen. Da gab der Mentor-Kapitän das verabredete Zeichen, und mit aller Kraft und Schnelligkeit rollten jetzt die Böller von der einen Schiffsseite nach der andern hinüber und schlugen, durch die dünne Wandung hindurch, auf das unten haltende, schon siegessichere Boot, das nun, von der Wucht der schweren eisernen Kanonen in Stücke gebrochen, mit Mann und Maus zugrunde ging 3 .
Solche Geschichten waren immer in der Luft und knüpften nicht bloß an die Schiffe, sondern gelegentlich auch an die Häuser an, die den Schiffen gegenüber an der anderen Seite des Bollwerks lagen. Weiter flußabwärts aber verloren sowohl diese Häuser wie die Geschichten ihren Reiz, bis, erst ganz am Ende der Stadt wieder, ein etwas zurückgelegenes, großes Gebäude das Interesse noch einmal in Anspruch nahm. Dies war das erst seit kurzem errichtete »Gesellschaftshaus«, das nicht bloß den Vereinigungsplatz für die Badegäste, sondern, solange die Saison anhielt, auch für die städtischen Honoratioren bildete, von denen vielleicht keiner öfter hier zur Stelle war als mein Vater. Dieser häufige Besuch galt nun freilich nicht eigentlich dem »Gesellschaftshause« selbst, am wenigsten den darin zur Aufführung kommenden Konzerten und Theaterstücken, der gelegentlich stattfindenden Bälle ganz zu schweigen – nein, was ihn anzog und mitunter schon zur Frühschoppenzeit hinausführte, das war ein dicht neben dem Gesellschaftshause stehender Pavillon, darin ein mit untadeligem blauen Frack und Goldknöpfen angetaner alter Major von historischem Namen unter affabelsten Manieren eine kleine Bank auflegte. Diese war nur allzuoft das Wanderziel meines Vaters, der, wenn er ein Erkleckliches dort verloren und den pot des Bankhalters entsprechend bereichert hatte, statt verstimmt darüber zu sein, nur einfach den Schluß zog, daß das Bankhalten ein einen sicheren Gewinn abwerfendes Geschäft und der alte Major mit dem hohen weißen Halstuch und der Brillantnadel ein überaus beneidens- und vor allem auch sehr nachahmenswerter Mann sei. Bei solcher Existenz habe man was vom Leben. Dergleichen sprach er dann auch aus, wenn er nach Hause kam und sich verspätet zu Tische setzte. Einmal geschah es in Gegenwart einer Schwester meiner Mutter, einer eben erst verheirateten jungen Frau, die während der Badezeit auf Besuch bei uns weilte.
»Das wirst du doch nicht tun, Louis«, antwortete sie auf seine Auseinandersetzungen.
»Warum nicht?«
»Weil es keine Ehre hat.«
»Hm, Ehre«, warf er hin und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.
Aber er hatte doch nicht den Mut, es zu bestreiten, und sah nur weg und stand auf.
Die Stadt war sehr häßlich und sehr hübsch, und ein gleicher Gegensatz sprach sich auch, wenigstens auf die moralischen Qualitäten hin angesehen, in ihrer Bevölkerung aus. Es gab hier, wie immer in Seestädten, eine breite, tagaus, tagein unter Rum und Arrak stehende, zugleich den Grundstock der Gesamteinwohnerschaft ausmachende Volksschicht, daneben aber, ebenfalls nach allgemein seestädtischem Vorbild, eine geistig durchaus höher potenzierte Gesellschaft, die jedenfalls weit über das hinauswuchs, was man damals in den von engsten Philisteranschauungen beherrschten kleinen Städten der Binnenprovinzen, namentlich auch unserer Mark, anzutreffen pflegte. Daß die Bewohnerschaft allem Spießbürgertum so durchaus fremd war, hatte sicher in manchem seinen Grund, vorwiegend aber wohl darin, daß die gesamte Bevölkerung von ausgesprochen internationalem Charakter war. In den umliegenden großen und reichen Dörfern wohnten vielleicht noch wendisch-pommersche Autochthonen aus den Tagen von Julin und Vineta her, in Swinemünde selbst aber, zumal in der Oberschicht der Bewohnerschaft, war alles derart
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