Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
scheinen will, der Ertrag dieser Läden nur unbedeutend sein konnte. Thompson, damals ein Mann von Mitte Vierzig, glich für gewöhnlich dem »deutschen Herrn«, dem Tiefenbach in den Piccolominis, verstand es aber, wenn es paßte, den gemütlichen Tiefenbach in den rücksichtslosesten Illo zu verkehren. Klug, humoristisch, voll Schlagfertigkeit, war er immer noch sehr beliebt und einflußreich, trotzdem er den unter dem Ansehen einer anderen und geschulteren Familie seit etwa fünfzehn Jahren immer maßvoller gewordenen Stadtton nicht mehr ausschließlich bestimmte. Nur im Bowlebrauen war er unbestrittener Herrscher geblieben.
In einer Art Gegensatz zu ihm stand Kaufmann Schultze, der, was Thompson in steifem Grog leistete, seinerseits in matter Limonade war. Aber eben deshalb war er wie geschaffen zum Ballarrangeur und Vergnügungsdirektor, und der sentimentalere Teil der Damenwelt verzog ihn ganz ungebührlich, besonders weil er nebenher auch noch des Vorzugs genoß, der einzige Tenor der Stadt zu sein. Um seinen etwas müde dreinschauenden Kopf lag immer ein Ausdruck höherer Weihe. Dabei hielt er sich für die Swinemünder für zu schade. Wenn ich mir jetzt sein Bild zurückrufe, kommt es mir vor, als hätt ich zu bestimmten Epochen meines Lebens eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm gehabt. – Tenor oder Lyrik macht wenig Unterschied.
Siebentes Kapitel
Die Schönebergs und die Scherenbergs
Unter den im vorigen Kapitel kurz skizzierten Familien, wie angesehen die eine oder andere derselben auch sein mochte, befand sich keine, die gesellschaftlich den Ton angegeben hätte. Näher dieser Aufgabe kamen die zwei Familien, beide Kaufmannsfamilien, die uns in diesem Kapitel beschäftigen sollen: die Schönebergs und die Scherenbergs.
Zunächst die Schönebergs. In Swinemünde selbst ist gegenwärtig der Name erloschen, aber während jener Jahre, von denen ich hier zu erzählen habe, war der alte Schöneberg zwar nicht der hervorragendste, klügste und vornehmste, wohl aber der reichste Mann der Stadt. Und zwar der wirklich reichste. Denn sein Besitz war solide, was man dem Reste der Swinemünder Honoratiorenschaft nicht nachrühmen konnte. Sie wollten es auch nicht sein; alles Solidesein war langweilig und philiströs. Natürlich schlug oft die Stunde, wo diese beständig vom glücklichen Zufall abhängigen Hazardeure bei der Schönebergschen Solidität Hilfe suchten, und diese Stunde des Hilfesuchens hätte wohl noch öfter geschlagen, wenn nicht der vorsichtige alte Handelsherr, so gern er sonst half, den gewohnheitsmäßigen Vabanquespielern gegenüber eine weise Zurückhaltung beobachtet hätte. Diese Tugend klug erwägender Zurückhaltung war wohl im Zusammenhang damit, daß die Schönebergs keine baltischen Pommern, sondern echte Kinder unserer Mark waren, was sich mir aus ausgangs des vorigen Jahrhunderts von einem Mitgliede der Familie gemachten Tagebuchaufzeichnungen ergibt.
Danach stammten die Schönebergs aus Berlin, wo zu Zeiten des ersten Königs und unter dessen Nachfolger der Ahnherr des nach Pommern hin verschlagenen Zweiges der Familie wohnte. Derselbe war Servicerendant und Kirchenvorsteher an der Marienkirche. Sein Sohn trat dem Kirchlichen noch näher und wurde Prediger zu Biesdorf, wenige Meilen von Berlin, wo ihm von seiner Frau, geb. Meerkatz, fünfzehn Kinder geboren wurden. Einer der Söhne, Kaufmann geworden, ging als solcher erst nach Stargard, dann nach Swinemünde, woselbst er Ende des vorigen Jahrhunderts ein schon in gutem Ansehen stehendes Geschäft erwarb. Es gelang ihm, dies Ansehn zu steigern, aber die volle Blüte stellte sich doch erst unter seinem ältesten Sohn, Heinrich August, ein, geboren 1776, gestorben 1855.
Dieser Heinrich August hieß, als wir 1827 nach Swinemünde kamen, bereits der »alte Schöneberg«, was insoweit ganz in der Ordnung war, als ihm, dem freilich erst Einundfünfzigjährigen, bereits ein junger Schöneberg im Geschäft zur Seite stand. Dies Schönebergsche Geschäftshaus war ein großes Eckhaus am Marktplatz, und meine Mutter, wenn es sich um Einkäufe handelte, dahin begleiten zu dürfen, gewährte mir jedesmal eine große Freude. Was ich da sah, war mir eine fremde Welt. In Ruppin gab es natürlich auch Kaufläden, in denen man in dem einen allerlei Kolonialwaren, in dem anderen Tuch oder Leinwand und in einem dritten irdenes Geschirr kaufen konnte. Diese Läden aber hatten samt und sonders etwas Kleines und Spießbürgerliches, das
Weitere Kostenlose Bücher