Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
hätte) nie recht die Rede sein, besonders dann nicht, wenn um Anfang Dezember, wie fast regelmäßig geschah, auch noch ein Hirsch von der Oberförsterei her eingeliefert war, der nun – aufgebrochen wie man ein Rind aufbricht – an die Giebelwand des Gesindehauses gehängt wurde. Tag um Tag trat dann die Köchin an das schreckliche Giebelornament heran und schälte erst das Ziemer und dann die Vorder- und Hinterschlegel heraus, so daß wir immer aufatmeten, wenn es mit dieser Wildherrlichkeit wieder vorbei war.
Unter einem glücklicheren Stern stand die Backwoche, wo mit Pfeffer- und Zuckernüssen begonnen und mit Brezeln, Kranz- und Blechkuchen aufgehört wurde. Wir durften nicht nur mit in die Backstube hinein, darin es überaus anheimelnd nach bitteren Mandeln und geriebener Zitrone roch, sondern erhielten auch, als Weihnachtsvorschmack, eigens für uns Kinder gebackene kleine Wecken, alles reichlich zugemessen. »Ich weiß«, sagte meine Mutter, »daß sie sich den Magen daran verderben, aber das ist besser, wie wenn sie knapp gehalten werden. Sie sollen all diese Zeit über eine Festfreude haben, und die bringt ihnen ein Festkuchen am besten bei.« Es hat was für sich, und bei ganz robusten Kindern mag es das unbedingt Richtige sein. Aber so robust waren wir doch nicht, daß es für uns so ohne weiteres gepaßt hätte. Mir war denn auch um Weihnachten herum immer sehr weinerlich zumute.
Am Silvester war Ressourcenball, auf den man mich als den Ältesten mitnahm. Ich stellte mich dann in schwankender Gemütsverfassung in eine Saalecke und sah zu. Wenn dann die tanzenden Paare an mir vorüberschwirrten, war ich zunächst glücklich, daß ich als eine Art Gast da stehen und mit dem Auge teilnehmen durfte, und war doch auch wieder unglücklich, daß ich, statt mitzutanzen, eben nur das Zuschauen hatte. Die Nichtigkeit meines Ich legte sich mir schwer auf die Seele, doppelt schwer in dem gastrischen Zustand, in dem ich mich um diese Zeit regelmäßig befand, und erst, wenn um Mitternacht der in einen langen blauen Mantel gekleidete Nachtwächter in den Saal trat und nach voraufgegangenem Signal auf seinem Horn ein fröhliches Neujahr wünschte, fiel mit einem Male jede Sentimentalität wieder von mir. Das Komisch-Groteske der Szene riß mich dann heraus, und ich hatte wieder meinen Frieden.
Zehntes Kapitel
Wie wir in unsrem Hause lebten (Fortsetzung) – »Große Gesellschaft«
Etwa um ebendiese Zeit begann auch das gesellschaftliche Leben, und zwar in Gestalt einer Reihe von Woche zu Woche wiederkehrender Gastereien. Über diese Gastmähler, unter denen manches insoweit dem des Belsazar glich, als eine Geisterhand schon den Bankrott des Gastgebers an die Wand schrieb, habe ich in ihrer Totalität nur immer berichten hören, was aber von diesen mal kleineren, mal größeren Gesellschaften auf speziell unser Haus entfiel, das habe ich mit Augen gesehen, und davon will ich in Nachstehendem erzählen.
Waren wir an der Reihe, so bemächtigte sich des ganzen Hauses eine feierliche Stimmung, die mit der Stimmung bei Hochzeiten eine gewisse Ähnlichkeit hatte, wie denn auch die bekannte Dreiteilung von Polterabend, Hochzeit und Lendemain in der Gestalt von Vorbereitungstag, eigentlichem Festtag und Resteressen wiederkehrte. Welchem dieser drei Tage der Preis gebührte, mag unentschieden bleiben, doch glaube ich fast, daß mir der erste Tag der liebste war. Er verlief zwar unmateriell und entsagungsreich, hatte dafür aber die Vorahnung kommender Herrlichkeiten.
An diesem Vorbereitungstage erschien, wie in allen anderen Häusern, so auch bei uns die Witwe Gaster, eine renommierte Kochfrau. Sie vereinigte Behagen und Würdigkeit in ihrer Erscheinung und wurde, dieser letzteren Eigenschaft entsprechend, mit Respekt und unbedingtem Vertrauen behandelt. Sie lebte, bei begreiflicher Abneigung gegen alles das (besonders Süßigkeiten), was sie tagaus, tagein zu produzieren hatte, beinah ausschließlich von Rotwein und entlehnte das wenige, was sie nebenher noch an Nahrung brauchte, dem beständigen Fettwrasen, in dem sie stand. Ihr Eintritt in unser Haus war für mich gleichbedeutend mit Postofassen in Nähe der Küche, wo nun alles, was sich vollzog, von mir beobachtet, beziehungsweise bewundert wurde. Den Anfang machte immer die Herstellung eines Baumkuchens. Als die Gaster, die darüber Buch führte, den tausendsten fertig hatte, gaben ihr die Swinemünder Hausfrauen ein wohlverdientes Fest. Es gibt
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