Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
»Fristzeit«, doch eine glückliche Zeit für mich und blieb es bis in den Sommer hinein. Inmitten der mir immer wiederkehrenden Zweifel bestand doch die Tatsache fort, daß wir nun schon seit Monaten die Straße beherrschten und weder in der Stadt bei unsern gewöhnlichen Spielen noch draußen auf unsern Lagerplätzen einem Angriff von seiten unserer Gegner ausgesetzt gewesen waren. All das gab mir, meinen Beängstigungen zum Trotz, doch auch wieder ein bestimmtes Maß von Vertrauen zurück. Ich sagte mir: »Ja, die Truppe ist schlecht, es sind lauter Ausreißer, und Fritz Ehrlich und ich können die Sache nicht allein machen; aber, wenn die Truppe schlecht ist, die Führung ist desto besser, und weil unsre Feinde das fühlen, haben sie Respekt und gönnen uns Frieden.« Ja, sie gönnten uns Frieden, wirklich. Aber, wie sich bald zeigen sollte, die Ruhe, die wir hatten, war die Ruhe vor dem Sturm. Unsere ganze Stadt- und Straßenherrschaft hatte von Anfang an auf dem Ansehen unserer Eltern beruht, die man in ihren Kindern nicht beleidigen wollte. Das meiste, wenn nicht alles, war Vorteilserwägung und Rücksichtnahme gewesen, wozu die meist im Dienst der Reeder und Kaufleute stehenden Schiffer und Hafenarbeiter ihre anfänglich bloß an Zahl, aber neuerdings auch an Kraft uns weit überlegenen Jungens ermahnt haben mochten.
Eine lange Zeit war es so gegangen, und man hielt sich, wenn auch widerstrebend, auch jetzt noch zurück. Als aber eines Tages einige der Allerkleinsten und Schwächlichsten meiner Truppe, die natürlich, solange sie sich sicher wußten, auch immer die Herausforderndsten waren, sich wieder mal allerlei Neckereien erlaubt hatten, brach die Revolution aus. Man wollte unsre Herrschaft brechen, uns einen Denkzettel geben. Ich habe die Nachmittagstunde, wo sich dies ereignete, noch deutlich vor mir. Wir spielten um die Kirche herum, und ich meinerseits stand eben auf einem auf zwei hohen Sägeböcken liegenden und von beiden Seiten her schon mit Eisenkrammen eingespannten Baumstamm, als ich mit einem Male sehen mußte, daß zwei der Meinigen, die grad über den etliche hundert Schritt entfernten Markplatz gingen, beim Kragen gepackt und von einem bildhübschen Jungen, der Erich Munk hieß, erst übergelegt und dann abgestraft wurden. Ein anderer Junge, Freund Erich Munks, stand daneben und lachte. Die beiden Abgestraften schrien furchtbar, und wiewohl es mir sicher war, daß sie wegen ihres hochmütigen und hämischen Wesens das Übergelegtwerden vollkommen verdient hätten, so gebot doch der Korpsgeist, die kleinen Neckebolde nicht im Stich zu lassen. Ich sprang also von dem Sägebock herunter und lief, von etlichen Mitspielenden gefolgt, auf die Kampfesstelle zu, natürlich in der Absicht, den Munk zu packen. Dieser aber, der stark und mutig war, wich mir, offenbar nach einem Plane, den er sich gemacht harre, vorsichtig aus, ja, floh geradezu, so daß mir nichts übrigblieb, als den andern Jungen, der nur zugesehen hatte, zu fassen und niederzuwerfen. Aber nun erschien auch Erich Munk wieder und warf sich mit aller Kraft auf mich, um mich von seinem Freunde loszukriegen, was ihm jedoch nicht glückte, weil ihn die fünf, sechs Jungen, die mir vom Kirchplatz her gefolgt waren, an Armen und Beinen immer wieder von mir wegzerrten. Dabei zerrissen sie ihm die Jacke, was nun die Wut des Jungen aufs höchste steigerte. Er zog jetzt einen rostigen, unten abgebrochenen und dadurch zahnig gewordenen Nagel aus der Tasche, jagte damit die kleine Meute in die Flucht, und nun aufs neue über mich herfallend, stieß er mir den Nagel in den Oberarm. Ich habe noch die Narbe. Da ließ ich nun das unter mir liegende Opfer los, kam in ein Ringen mit Munk und entriß ihm schließlich auch den Nagel, mit dem ich mich nun vor ihn hinstellte, wie wenn ich sagen wollte: »Ich könnte dich jetzt morden, ich will aber nicht.« Dann lachten wir uns gegenseitig verächtlich an und gingen langsam unseres Weges. Eigentlich war ich Sieger geblieben, beide Feinde hatten an der Erde gelegen, und den großen rostigen Nagel, auf den ich nicht wenig stolz war, nahm ich mit nach Hause, wo mein Arm mit Arkebusade gewaschen wurde, was sehr brannte. Ja, ich hatte gesiegt. Aber trotzdem, ich konnte der Sache nicht froh werden und empfand deutlich, daß unserer Herrschaft Tage gezählt seien. Ich sah ganz klar, und die nächsten Tage bestätigten es, daß man auf seiten unserer Gegner willens geworden war, uns ihre Überlegenheit
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