Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Hause, ich sei dagewesen. Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus, und so hatte ich das Vergnügen, zu guter Letzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug.
Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden, und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen, so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Tränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun mein Vater an. Er war ein sehr stattlicher und mit seinem schönen Blaubart eigentlich wundervoll aussehender Mann, der typische französische Kürassieroffizier. All das hätte nun auf einen zwölfjährigen Jungen, der sich noch dazu sagen mußte: »Das ist dein Vater«, imponierend wirken müssen. Aber dies war nicht der Fall oder doch nur sehr zur Hälfte. Mein Vater, wie oft große, von besonderer Bonhomie getragene Männer, hatte einen unvertilgbar humoristischen Zug in seinem Gesicht, ein eigentümliches Etwas, das sich gerade dann, wenn er am ernsthaftesten sein wollte, über diesen Ernst zu mokieren schien, wodurch sich das Respekteinflößende der Erscheinung wieder in Frage gestellt sah. Dieser humoristische Zug, sonst seine größte Zierde, wurde mir an diesem Abschiedstage verhängnisvoll, denn mit einem Male, während ich noch so vor ihm stand und die Sittlichkeitsermahnungen gesenkten Auges und eigentlich ohne jedes rechte Verständnis mit anhörte, grinste mich ein mir in meiner kleinen Seele sitzender Kobold, der vorhatte, mich à tout prix zum Lachen zu bringen, teuflisch an. Und es gelang ihm auch. Denn mit einem Male barst es krampfhaft aus mir heraus, nicht viel mehr als ein konvulsivisches Zucken, aber doch immerhin von einem leisen Lacheton begleitet.
»Junge, ich will doch nicht glauben, du lachst …«
»Nein, gewiß nicht, lieber Papa …«
»Nun, darum möcht ich doch auch gebeten haben.«
Und nun nahm er seine Rede wieder auf, um sie – weil ihm selber wohl auch unheimlich zumute war – so rasch wie möglich zum Schluß zu bringen. Ein wahres Glück. Denn wiewohl ich, mit höchster Anstrengung gegen mich ankämpfend, vor Angst und Erregung zitterte, so wär ich doch zum zweiten Male zum Opfer gefallen, wenn die Rede auch nur noch eine halbe Minute länger gedauert hätte.
»Nun geh, und vergiß diese Stunde nicht.«
Und ich habe sie auch nicht vergessen. Aber nur das Schreckliche der Szene ist mir geblieben, nicht der Inhalt seiner Rede.
Am andern Tage brachen wir auf, meine Mutter und ich. Es war beschlossen, mich auf das Ruppiner Gymnasium zu bringen; dort hatten wir noch Anhang und gute Freunde, die mich, wie vor allem das Predigerhaus, in das ich in Pension kam, in Obhut nehmen sollten.
Eigentlich wäre nun wohl die Reise nicht Sache meiner Mutter, sondern Sache meines Vaters gewesen, und das dreitägige Kutschieren, mit Nachtquartieren in Anklam und Neubrandenburg, in welch letzterem man immer wundervoll zu Abend aß, würde ihm auch sehr gefallen haben; er wog aber ab zwischen angenehm und unangenehm und kam zu dem Resultat, daß das Unangenehme meiner Ablieferung in ein Prediger-, ja genauer genommen sogar in ein Superintendentenhaus, begleitet von Einführung meiner Person bei dem Direktor des Gymnasiums, doch schwerer ins Gewicht falle als das Angenehme des Soupers in Neubrandenburg.
Und so fuhr ich denn mit meiner Mutter – die in diesen Tagen, ganz gegen ihre Gewohnheit, ungemein weich und nachsichtig gegen mich war – in die Welt hinein. Ein neuer Lebensabschnitt, der zweite, begann für mich, und eh ich auch über ihn, wenn überhaupt, berichte, werf ich noch einen Blick auf das Stück Leben zurück, das mit dem Abreisetag für mich abschloß.
Es war, trotz des letzten Halbjahrs mit seinen vielen kleinen Ärgernissen, eine glückliche
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