Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Wirt unten erschien, erfuhr er, daß der Zug schon geraume Zeit nach der Kirche sei… »Gut, gut, dann werd’ ich direkt in die Kirche gehen.« Und das geschah denn auch. Als er eintrat, schien ihm in der Tat noch nichts versäumt oder doch nur sehr wenig; sie sangen noch, und die Orgel spielte leise. »Gott sei Dank,« sagte Lepel vor sich hin, »sie singen erst.« Und unter dieser Trostbetrachtung war er bis an den Altar gekommen, wo er links, in unmittelbarer Nähe des Brautpaares, einen leeren Stuhl entdeckte, mit einem Singzettel darauf. Er wußte, daß das sein Platz sein mußte, und ließ sich unter leiser Verbeugung neben dem Bräutigam nieder. Dieser, der seinen Anverwandten schon kannte, lächelte nur still vor sich hin und wies dann auf die Stelle, bis zu der die Singenden eben gekommen waren. Es war die vorletzte Zeile des Schlußverses. Einen Augenblick danach war die Zeremonie vorüber, und alles erhob sich. Lepel, das erstemal um eine Woche zu früh, war das zweitemal um eine Stunde zu spät gekommen. Als er wieder in Berlin war, kam er zu mir und sagte: »Ja, Fontane, ich habe mich eigentlich blamiert, aber ich kann es kaum bedauern, denn ich habe mich auf dem ganzen Rückwege daran aufgerichtet, wie das wohl auf dich wirken und dich erheitern würde.«
Lepel trat sehr früh in den Tunnel, noch in der Mühler-Zeit vor Strachwitz und Scherenberg. Was er damals bot, war nicht bedeutend und ließ das Maß der Anerkennung auf einem mittlern Niveau; als er aber, in den ersten vierziger Jahren, von einem halbjährigen oder noch längeren Aufenthalt in Italien zurückkehrte, las er im Tunnel seine stark antipapistischen und namentlich antijesuitischen Gedichte vor, die bald darauf unter dem Titel »Lieder aus Rom« erschienen. Sie wurden sehr bewundert, und auch ich nahm ganz ehrlich an dieser Bewunderung teil. Zur Stunde denke ich nicht mehr so hoch davon. Alle diese Gedichte haben dieselben Tugenden, aber freilich auch dieselben Mängel, die die meisten Gedichte jener Tunnel-Epoche haben: sie sind alle männlichen Geistes, von einer, wenn man will, sehr tüchtigen Gesinnung eingegeben und stehen einerseits der Liebes- und andererseits der Freiheitsphrase, die damals die Lyrik beherrschte, sehr vorteilhaft gegenüber, aber sie haben, mit alleiniger Ausnahme der Strachwitz’schen Gedichte, nichts – oder doch zu wenig – von jenem dem Ohr sich Einschmeichelnden, ohne das es für mein Gefühl keine Lyrik gibt. Bei Scherenberg trat das ganz eminent hervor, er gab es auch selber zu; bei Lepel versteckte sich’s, war aber doch da. Er galt für einen Formkünstler und war es auch; er überwand große Schwierigkeiten, und man mußte voller Respekt vor dem Aufbau seiner Terzinen sein. Aber was ich das Sich-Einschmeichelnde nannte, das fehlte. Will ich mich an Gedanken und Gesinnungen aufrichten, so kann ich das in Prosa tun; bringt mir einer Verse, so müssen sie gefällig sein, sich meinen Sinnen anschmiegen. Können sie das nicht, so haben sie ihre Aufgabe mehr oder weniger verfehlt. Alles, was Lepel damals schuf, ist zu schwer, und nur ein einziges unter diesen vorerwähnten römischen Gedichten ist voll geglückt, indem es zu der Korrektheit und Kraft des Ausdrucks auch noch Wohlklang gesellt. Dies Gedicht, in Terzinen, heißt »Ganganelli«. Zunächst schon ein herrlicher Stoff. An jedem Gründonnerstage, so war es Herkommen durch Jahrhunderte hin, erschien der Papst in der Peterskirche, um seinen Fluch auf die Ketzer zu schleudern. Als aber Ganganelli, unter dem Namen Clemens XIV., Papst geworden war und die herzugeströmte Menge wieder den altehrwürdigen Fluch erwartete, klang es vom Altare her: »Ich segne alle Völker dieser Erde.« Vielleicht wär’ es das schönste gewesen, Lepel hätte dieses Gedicht mit dieser Situationsschilderung und dem Segenswort des Papstes geschlossen; aber es war damals eine polemische Zeit, irgendwas Anzügliches zu Nutz und Frommen des Liberalismus mußte geleistet werden, und so schloß denn auch das Gedicht mit folgender antijesuitischer Gesinnungstüchtigkeit:
Und Klio zeichnet Ganganellis Namen
Ins große Buch der Welt mit goldnen Schriften,
Euch aber frommt es nicht ihn nachzuahmen,
Euch hat’s allein gefrommt – ihn zu vergiften.
Ich bin durchaus gegen solche, noch dazu, was das Tatsächliche betrifft, mehr oder weniger in der Luft schwebende Polemik. Indessen auch mit ihr ist es immer noch ein schönes Gedicht, zu dem sich unter allem, was er später
Weitere Kostenlose Bücher