Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Schwachheit Wilhelm von Merckels nie hervorgetreten, denn er wäre gar nicht in die Lage gekommen, sich auf diesem diffizilen Gebiete legitimieren zu müssen. Aber die neuen Zeiten ließen ihm keine Wahl, er mußte Stellung nehmen hüben oder drüben, und dabei war er nicht immer glücklich. Indessen muß doch gleichzeitig hinzugefügt werden, daß die hierbei hervortretenden Fehler nur die natürliche Folge seiner menschlichen Vorzüge waren. Nichts gibt es auf den Blättern der Geschichte, das mich so ergriffe wie die nicht seltne Wahrnehmung, daß bedeutende Menschen oft gerade da, wo sie fehlgreifen, ihren eigentlichen Charakter in das schönste Licht stellen. Unser großer König ist beispielsweise nirgends größer als in dem Irrtum, den er bei Gelegenheit des Müller Arnoldschen Prozesses beging, und wenn er in diesem Irrtume befangen einem in allen Lebenslagen erprobten Ehrenmanne wütend seinen Krückstock nachschleuderte, so war das keine Tat tyrannischer Laune, sondern das Aufbrausen eines empörten Rechtsgefühls. Daß er schließlich unrecht hatte, hebt das schöne Gefühl, aus dem heraus er handelte, nicht auf. Genauso lag es mit meinem Wilhelm von Merckel. Er war immer, wenn auch freilich auf etwas altmodische Weise, für »Freiheit« gewesen, und als sie nach den Märztagen mit etlichen Überschreitungen sich einstellte, rief er nicht bloß nach der Polizei, sondern schrieb auch sein zu einer gewissen Notorität gelangtes Lied »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten«. Und auch damit schloß er den Wechsel seiner Stimmungsansichten noch nicht ab. Denn kaum, daß die »Soldaten geholfen hatten«, so mißfielen ihm auch wieder die konservativ-orthodoxen Tendenzen, die jetzt verdoppelt zur Herrschaft kamen, und er veröffentlichte seinen schon erwähnten »Frack des Herrn von Chergal«, eine politische Geschichte, die auf die Verhöhnung eines reaktionären oder wenigstens völlig unzeitmäßigen Gebarens hinauslief. Wer ein geringstes Abweichen von einem ihm als Ideal erscheinenden Mittelkurs seiner Natur nach nicht vertragen kann, vielmehr bei Wahrnehmung jeder kleinsten Ausschreitung nach links oder rechts hin sofort Veranlassung nimmt, in das entgegengesetzte Lager überzugehen, der ist zum Politiker absolut ungeeignet. Und das traf bei Merckel zu. So kam er denn, solang er in der Unruhe der vor- und nachmärzlichen Tage stand, aus dem Unzufriedensein über die damaligen Zustände nicht heraus, aber diese Schwäche wurzelte doch auch wieder in etwas menschlich Schönem: in seinem starken Rechtsgefühl, in seiner ganz auf das Maß der Dinge gestellten Persönlichkeit.
Daß er mit ganzem Herzen an dem Tunnel hing und in natürlicher Folge davon ein überaus beliebtes Mitglied war, hob ich schon hervor. Unser Verein hatte sehr viel von ihm, menschlich, gesellschaftlich, literarisch. Seine mit Sorgfalt und Liebe geschriebenen Protokolle leiteten unsere Sitzungen ein und waren Kabinettsstücke liebenswürdigsten Humors. Vielleicht sind sie das Beste, was er überhaupt geschrieben. Auch an der eigentlichen Tunnel-Produktion nahm er teil und versuchte sich auf jedem Gebiete, lyrisch, dramatisch, in Erzählung, Idyll und Satire. Allen gemeinsam ist eine bis ins kleinste gehende Detailmalerei, die, wenn sie Schwerfälligkeit und Unklarheit zu vermeiden weiß, den Mann von Fach vom Dilettanten unterscheidet. Und so war er denn in diesem auf die künstlerische Behandlung gerichteten wichtigen Punkte kein Dilettant. Aber in der Hauptsache war er’s doch. Er gab eben überall nur Gastrollen, versuchte dies und das, auch mit gelegentlich großem Geschick, aber niemals empfand man: das mußte geschrieben werden. Es waren Einfälle, nicht Notwendigkeiten; »Beschäftigung, die nie ermattet.« Sein Bestes lag nach der Seite der Satire hin. In einem, nach seinem Hinscheiden unter dem Titel »Kleine Studien« erschienenen Bande finden sich zwei kurze Geschichten: der »Zensor« und der schon mehrerwähnte »Frack des Herrn von Chergal«, Erzählungen, die diesen satirischen Charakter tragen und als Glanzstücke nicht bloß Merckelscher Schreibweise, sondern überhaupt als Musterstücke gelten können. Die erstgenannte Geschichte, das damalige Zensurunwesen persiflierend, ist unter den genannten beiden die künstlerisch bessere. Ein Assessor meldet sich bei Exzellenz, dem Minister des Innern, der in den letzten Tagen wieder mehrere Zensoren wegen Unfähigkeit entlassen mußte. Die Situation ist mithin eine für den
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