Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
wohnte. Da wir beide plauderhaft und etwas übermütig waren, so war an Verlegenheit nicht zu denken, und diese Verlegenheit kam auch kaum, als sich mir im Laufe des Gespräches mit einem Male die Betrachtung aufdrängte: »Ja, nun ist es wohl eigentlich das beste, dich zu verloben.« Es war wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, daß mir dieser glücklichste Gedanke meines Lebens kam, und als ich die Brücke wieder um ebensoviele Schritte hinter mir hatte, war ich denn auch verlobt. Mir persönlich stand dies fest. Weil sich aber die dabei gesprochenen Worte von manchen früher gesprochenen nicht sehr wesentlich unterschieden, so nahm ich plötzlich, von einer kleinen Angst erfaßt, zum Abschiede noch einmal die Hand des Fräuleins und sagte ihr mit einer mir sonst fremden Herzlichkeit: »Wir sind aber nun wirklich verlobt.«
Ja, wir waren also nun wirklich verlobt und waren es – fünf Jahre. Von dieser unserer Wartezeit indessen mag ich hier nicht erzählen oder doch nur ganz wenig und will statt dessen lieber von der Zeit sprechen, wo wir uns kennenlernten.
Das lag nun schon eine gute Weile zurück.
Sie mochte damals zehn Jahre zählen (ich fünfzehn) und war »Nachbarskind« von mir in einem in der Großen Hamburger Straße gelegenen Doppelhause, dicht neben dem alten Judenkirchhof. In dem einen Hause, Parterre, wohnte damals mein Onkel August, bei dem ich, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, meine Schulzeit über in Pension war, während das zehnjährige Kind, das meine Braut werden sollte, drei Treppen hoch in dem Nachbarhause residierte. Sie war die Adoptivtochter eines noch weiterhin zu charakterisierenden älteren Herrn aus dem Sächsischen, der von den Mitbewohnern, lauter kleinen Leuten, der »Herr Rat Kummer« genannt wurde. Nach ihm hieß sie denn auch Emilie Kummer. Ihr eigentlicher Name aber, den sie erst, früh verwaist, bei Gelegenheit ihrer im vierten oder fünften Jahre stattgehabten Adoption abgelegt hatte, war Rouanet.
Als sie geboren wurde, lebte noch in hohem Alter der Großvater Rouanet, durch den die Familie dieses Namens in unserem Lande seßhaft geworden war. Von diesem alten Herrn möchte ich hier zunächst erzählen. Er stammte nicht aus einer Refugiéfamilie, sondern hatte Südfrankreich sehr viel später, erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, verlassen. In Konflikte mit seiner in Toulouse sehr angesehenen Familie geraten, war er um die genannte Zeit als Flüchtling nach der Schweiz (Neufchâtel) gegangen und daselbst preußischen Werbern in die Hände gefallen. Nach Potsdam gebracht, sah er sich hier – denn er war sechs Fuß groß – in das Bataillon Garde eingereiht und gehörte bald zu den vielen, die nicht Ursache hatten, mit solcher Fügung ihres Schicksals sonderlich unzufrieden zu sein. Die Stattlichkeit seiner Erscheinung, seine feine Bildung – er hatte protestantische Theologie studiert, woraus auch seine Konflikte mit der Familie herrührten – und nicht zum wenigsten das ausgezeichnete Französisch, das er sprach, machten den König ihm zugeneigt, und Anfang der achtziger Jahre, bald nach dem bayerischen Erbfolgekriege, gab ihm der Alte Fritz von Sanssouci aus einen besonderen Beweis seiner Gunst. In der Stadt Beeskow war der Stadtkämmerer gestorben, und es galt, diese Stelle neu zu besetzen. Friedrich der Große behändigte seinem Günstling Etienne Rouanet ein eigenhändiges Schreiben, das dieser dem Beeskower Magistrat vorzulegen hatte. Das Schreiben lautete: »Der Beeskower Magistrat ist hierdurch angewiesen, den pp. Rouanet als Stadtkämmerer anzustellen und ihm ein Gehalt von jährlich 1000 Taler zu zahlen.« Das war für jene Zeit eine große Summe. Sich Weisungen der Art zu widersetzen, entsprach nicht den damaligen Gepflogenheiten, und Rouanet ward also Kämmerer. Das ist er denn auch an die fünfzig Jahr gewesen. Anfänglich war man in einer gewissen versteckten Opposition gegen ihn, als dann aber die »Franzosenzeit« kam, sah er sich in der Lage, dem ganzen Landesteile Beeskow-Storkow so große Dienste leisten zu können, daß er ein Gegenstand der Verehrung und Liebe wurde, worauf er, seinem ganzen Charakter nach, ohnehin allen Anspruch hatte. Er war hochherzig, hatte sich die schönen, leider so oft zur Karikatur verzerrten Grundsätze der Aufklärungszeit zu eigen gemacht und handelte danach, oft in sehr schweren Lagen. Als er ungefähr achtzig war, trat er mit vollem Gehalt in den Ruhestand, was der Stadt
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