Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
den halb kahl gewordenen Bäumen. Das meiste lag abgeweht in den Gängen und wurde, wo’s trocken war, zusammengeharkt, denn seit gestern hatte sich das Wetter wieder geändert, und nach langen Sturm- und Regentagen schien eine wundervolle Herbstessonne. Vielleicht die letzte dieses Jahres.
Und auch Aninettchen wurde hinausgeschickt und blieb heute länger fort als erwartet, bis endlich um die vierte Stunde die Magd in großer Aufregung heimkam und in ihrem schweren Schweizerdeutsch über ein eben gehabtes Erlebnis berichtete: »Sie hab’ auf der Bank g’sesse, wo die vier Löwe das Brückle halte, und hätt’ ehe g’sagt: ›Sieh, Aninettle, des isch der Altweibersommer, der will di einspinne, aber der hat di no lang nit‹, und das Aninettl hab’ grad g’juchzt un g’lacht und n’ am Ohrring g’langt, do wäre zwei Herre über die Brück’ komme, so gute funfzig, aber schon auf der Wipp, und einer hätt’ g’sagt, e langer Spindelbein: ›Schau des Silberkettle; des isch e Schweizerin; un i wett’, des isch e Kind vom Schweizer G’sandte.‹ Aber do hat der andre g’sagt: ›Nei, des kann nit sein; den Schweizer G’sandte, den kenn’ i, un der hat kein Kind un kein Kegel…‹ Un do hat er z’ mir g’sagt: ›Ah nu, wem g’hört das Kind?‹ Un da hab’ i g’sagt: ›Dem Herr Rubehn, un ‘s isch e Mädle, un heißt Aninettl.‹ Un do hab’ i g’sehn, daß er sich verfärbt hat und hat wegg’schaut. Aber nit lang, da hat er sich wieder umg’wandt und hat g’sagt: ›‘s isch d’ Mutter, und lacht auch so, un hat dieselbe schwarze Haar’. Es isch e schön’s Kindle. Findscht nit au?‹ Aber er hat’s nit finde wolle und hat nur g’sagt: ›Übertax’ es nit. Es gibt mehr so. Un ‘s ischt e Kind aus ‘m Dutzend.‹ Jo, so hat er g’sagt, der garstige Spindelbein: ›‘s gibt mehr so, un ‘s ischt e Kind aus ‘m Dutzend.‹ Aber der gute Herre, der hat’s Pätschle g’nomme un hat’s gestreichelt. Un hat mi g’lobt, daß i so brav un g’scheit sei. Jo, so hat er g’sagt. Und dann sind sie gange.«
All das hatte seines Eindrucks nicht verfehlt, und Melanie war während der Tage, die folgten, immer wieder auf diese Begegnung zurückgekommen. Immer wieder und wieder hatte die Vreni jedes Kleinste nennen und beschreiben müssen, und so war es durch Wochen hin geblieben, bis endlich in den großen und kleinen Vorbereitungen zum Feste der ganze Vorfall vergessen worden war.
Und nun war das Fest selber da, der Heilige Abend, zu dem auch diesmal Rubehns jüngerer Bruder und der alte Prokurist, die sich zur Rückkehr nach Frankfurt nicht hatten entschließen können, geladen waren. Auch Anastasia.
Melanie, die noch vor Eintreffen ihres Besuchs allerlei Wirtschaftliches anzuordnen hatte, war ganz Aufregung und erschrak ordentlich, als sie gleich nach Dunkelwerden und lange vor der festgesetzten Stunde die Klingel gehen hörte. Wenn das schon die Gäste wären! Oder auch nur einer von ihnen. Aber ihre Besorgnis währte nicht lange, denn sie hörte draußen ein Fragen und Parlamentieren, und gleich darauf erschien das Vrenel und trug eine mittelgroße Kiste herein, auf der, ohne weitere Adresse, bloß das eine Wort »Julklapp« zu lesen war.
»Ist es denn für uns, Vreni?« fragte Melanie.
»I denk’ schon. I hab’ ihm g’sagt: ›‘s isch der Herr Rubehn, der hier wohnt. Un die Frau Rubehn.‹ Un do hat er g’sagt: ›‘s isch schon recht; des isch der Nam’.‹ Un do hab’ i’s g’nomme.«
Melanie schüttelte den Kopf und ging in Rubehns Stube, wo man sich nun gemeinschaftlich an das Öffnen der Kiste machte. Nichts fehlte von den gewöhnlichen Julklappszutaten, und erst als man unten am Boden eines großen Gravensteiner Apfels gewahr wurde, sagte Melanie: »Gib acht. Hierin steckt es.« Aber es ließ sich nichts erkennen, und schon wollte sie den Gravensteiner, wie alles andere, beiseite legen, als sich durch eine zufällige Bewegung ihrer Hand die geschickt zusammengepaßten Hälften des Apfels auseinanderschoben. »Ah, voilà.« Und wirklich, an Stelle des Kernhauses, das herausgeschnitten war, lag ein in Seidenpapier gewickeltes Päckchen. Sie nahm es, entfernte langsam und erwartungsvoll eine Hülle nach der andern und hielt zuletzt ein kleines Medaillon in Händen, einfach, ohne Prunk und Zierat. Und nun drückte sie’s an der Feder auf und sah ein Bildchen und erkannt’ es, und es entfiel ihrer Hand. Es war, en miniature, der Tintoretto, den sie damals so
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