Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
für interessant. Auch unser guter Lenau verstand sich darauf, aber es war au fond nicht böse gemeint, und aller atheistischen Rodomontaden unerachtet, spukte doch eigentlich das Kirchliche darin vor. Er kam nur nicht voll damit zurecht und starb zu früh. Und zudem der verdammte Poetenehrgeiz! Unter allen Umständen aber sind wir ihm zu Dank verpflichtet, uns das auf dem Wege zwischen Stuhlweißenburg und Debreczin fast schon verlorengegangene Herz unserer lieben Freundin in einer zweiten ungrischen Epoche zurückerobert zu haben. In einer zweiten ungrischen Epoche, nach der wir hoffentlich sehr bald eine noch schönere dritte zu verzeichnen haben werden.«
»Ich glaube, daß sie für mich bereits begonnen hat.«
Eine kleine Stutzuhr schlug eben zehn, und die junge Schauspielerin erhob sich. Egon bat, sie begleiten zu dürfen. Sie nahm das Anerbieten an, ganz nach Art einer Dame, die solche Huldigungen und Dienste gewöhnt ist, und verabschiedete sich, wie sie gekommen, mit einem Handkuß bei der Gräfin, während sie sich gegen Feßler verneigte.
Der alte Graf aber geleitete sie bis in das Vorzimmer und half ihr hier sich in ein Spitzentuch hüllen, das sie kleidsam um Kopf und Hals trug. Dann in den Salon der Schwester zurückkehrend, ließ er sich in einen Fauteuil in aller Bequemlichkeit nieder und sagte: »Nun, Judith, wie findest du sie?«
»Charmant.«
»Und?«
»Und pointiert.«
»Und?«
»Ich weiß nichts weiter zu sagen. Aber fragen wir Feßler.«
»Und klug«, fügte dieser hinzu, während er wie zerstreut mit einer an der Tischdecke herabhängenden Seidenpuschel spielte. »Wir werden allerhand von ihr lernen können.«
»Lernen! Ein Liguorianerpater und lernen! Und da spricht man noch von dem Hochmut der Kirche.«
Es hatte mittlerweile geschneit, und ein paar Hausdiener fegten eben den Schnee beiseite. Egon reichte Franziska den Arm, war aber sichtlich in Verlegenheit, wie das Gespräch beginnen, und so hatten sie denn schon den Vorhof und das Gitter passiert, als er endlich das Wort nahm.
»Ein trübseliges Wetter«, begann er. »Nun wieder Schnee. Der Wind dreht sich in einem fort. Ich mache mir nichts aus dem Winter.«
»Oh, da denk’ ich doch anders. Ich liebe den Winter, nur muß er wirklich ein Winter sein. Es ist damit wie mit den Menschen: auf Beständigkeit kommt es an. Mit einem launenhaften Winter, der heute so ist und morgen so, mit dem ist nichts anzufangen, aber ein echter und zuverlässiger Winter, der sich einrichtet, als wolle er nie wieder gehen, der ist schön, wie der schönste Sommer. Doch das wissen sie hier nicht. Einen Schneesturm haben sie wohl, aber die stille, feste Kälte, die Brücken baut und trägt und hält, die fehlt ihnen.«
Egon antwortete nicht; es schien nur, daß er überlegte, was sie mit dem allem gemeint haben könne. Denn obwohl sie sich selbst für berechnend ausgegeben hatte, so hielt er sie doch für noch viel berechnender, als sie war. Erst als sie bei dem hellerleuchteten und noch vollbesetzten Café Daum vorüberkamen, wies er darauf hin und sagte:
»Das Theater muß eben aus sein. Ich wette, daß in diesem Augenblicke Dutzende von Pfeilen gespitzt und abgeschossen werden. Ein Glück, daß sie vorbeifliegen.«
»Ach, solche Pfeile fliegen nie vorbei, wenigstens nie ganz, und die spitzigsten am wenigsten.«
»Aber sie töten nicht, solange sie nicht vergiftet sind.«
»Die ganz spitzen sind immer vergiftet. Das läßt sich an jedem Mückenstiche studieren.«
»Aber Gott sei Dank auch die Ungefährlichen.«
»Nur leider nicht die Schmerzlosigkeit, und wenn ihrer viele kommen, so hat man ein Fieber und eine schlaflose Nacht.«
»Und so spricht ein Liebling des Publikums, ein Verzug, ein Glückskind?«
»Viel Feind’, viel Ehr’. Aber auch viel Ehre, viel Feind’. Und ein Glückskind! Nun ja, vielleicht. Aber an jedes Glück hängt sich ein Unglück.«
»Umgekehrt, ein Glück kommt nie allein.«
Unter so zugespitzter Rede waren sie bis an den Kärntnerring und die Schwarzenbergbrücke gekommen und gingen nun auf die Salesiner Gasse zu, deren vorderstes Eckhaus Franziska bewohnte. Das eine Fenster war hell erleuchtet und schickte sein Licht ihnen entgegen über den Platz hin.
»Und was, wenn die Frage nicht zudringlich ist, finden Sie nun daheim, meine Gnädigste?« nahm Egon das Gespräch wieder auf.
»Oh, das Beste, was man finden kann: ein Feuer im Kamin und ein Paar warme Schuhe.«
»Einigermaßen genügsam.«
»Und dazu
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