Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
ich abergläubisch.«
Hannah brachte Mantel und Kappe, wickelte Franziska darin ein, und nun stiegen Herrin und Dienerin eine nur wenige Stufen zählende Treppe hinauf, die vom dritten Stock aus direkt auf das Flachdach des Hauses führte. Hier standen den Sommer über allerhand Kübel und Topfgewächse, jetzt aber sah man nichts als ein paar Bretterlagen und einen Berg Schnee, den der Wind nach der einen Seite hin zusammengefegt hatte.
Sie gingen ein paarmal auf und ab und sahen auf die Stadt, auf deren verschneite Dächer das Mondlicht fiel. Aus der Ferne hörte man das Läuten einzelner Schlitten, aller eigentliche Lärm aber schien erstickt unter dem weißen Tuch.
Und nun traten sie bis an die Brüstung, wo der zusammengewehte Schnee lag, und sahen in den Winterhimmel hinauf, der in wundervoller Pracht über ihnen glitzerte.
»Sieh, das ist der Große Bär. Und da sind wir zu Haus, da liegt unsere Jugend, unsere Kindheit. Ach, Hannah, es war doch unsere schönste Zeit, als wir noch abends in den Turm gingen und die Betglocke läuteten und die Grabsteine der alten Pastoren anstarrten, die mit ihren Ringkragen an den Wänden umherstanden. Und wenn uns dann der Glockenstrick aus der Hand fuhr und mit einemmal in die Höhe schnellte, sieh, da war mir’s immer, als hätte sich der Gottseibeiuns über unser Läuten gebost und den Strick uns weggezogen.«
»Ach, rede nicht so, Fränzl; wenn du so sprichst, dann überdenkst du jedesmal etwas Tolles oder Törichtes.«
»Aber diesmal nicht. Ich überdenke gar nichts. Ich habe nur mit einemmal eine schmerzliche Sehnsucht nach dem Kirchenplatz hin, wo wir spielten und uns auf die Holzstämme setzten und Geschichten erzählten. Und von fernher hörten wir dann das Meer, das draußen rauschte. Mir ist’s, als hört’ ich’s noch.«
»Willst du zurück?«
Franziska schüttelte den Kopf. »Nein, nicht zurück. Eine Sehnsucht ist etwas anderes als der Wunsch, es wiederhaben zu wollen. Was sollt’ ich auch da? Mit einer Schauspielerin ist es ein eigen Ding. Im Petöfyschen Hause gilt sie viel oder vielleicht viel, aber im Hause vom Bäckermeister Utpatel, auf dessen Bank wir immer saßen und Butterblumenstengel zusammensteckten, in dessen Hause gilt sie wenig oder nichts. Nein, Hannah, nicht zurück! Aber zurück oder nicht, die Liebe bleibt, und einen Gruß wollen wir wenigstens in die Heimat hinüberschicken.«
Und sie nahm eine Handvoll Schnee vom Boden und warf ihn nach Norden zu. Der Nachtwind aber, der ging, zerstäubte den Ball wieder und trug die Kristallchen blinkend durch die Luft.
Fünftes Kapitel
Einige Wochen lang setzte sich der Verkehr Franziskas mit dem Petöfyschen Hause fort, dann aber brach er etwas auffällig ab, und selbst die Besuche, die der Graf noch eine Zeitlang in dem Eckhause der Salesiner Gasse gemacht hatte, hörten auf. Es hieß, was auch zutraf, er sei verreist, und erst von Paris aus gab er wieder ein Lebenszeichen und entschuldigte sich in den verbindlichsten Worten seiner plötzlichen Abreise halber. Aber so verbindlich diese Worte waren, so waren sie doch kühler als gewöhnlich oder wenigstens befangener.
Franziska fühlte das heraus, war indessen an derartig wechselnde Vorgänge zu sehr gewöhnt, um ein besonderes Gewicht darauf zu legen.
Anders in dem engeren Zirkel, der sich nach wie vor an jedem dritten Abend im Salon der Gräfin versammelte. Hier wurde nicht bloß dem Ausbleiben des Fräuleins, sondern weit mehr noch der Abreise des Grafen eine gewisse Bedeutung beigelegt, bei welcher Gelegenheit man nicht unterließ, sich die seltsamsten Dinge zuzuflüstern. Der alte Graf sei regelrecht verliebt oder interessiere sich wenigstens bis zur Torheit für das junge Fräulein, und so sei denn die ganze Pariser Reise nichts weiter als eine Flucht. Die Gräfin habe mit Rücksicht auf den eigensinnigen Charakter des Grafen anfänglich seiner Reise widersprochen, natürlich nur in der Absicht, ihn durch solchen Widerspruch in seinem Plane desto fester zu machen. Andere dagegen wollten von dem allem nichts wissen und hoben ihrerseits hervor, daß die »jours de fête« für den alten Grafen vorüber seien; sie begegneten aber nur dem Spott aller medisanten Klub- und Kasinohabitués, die nicht müde wurden, auf den siebenzigjährigen Goethe, ja zuletzt sogar auf König Sigurd Ring hinzuweisen, der noch mit neunzig Jahren in Leidenschaft verfallen und auf die Freite gezogen sei. Der Graf aber sei Vollblutungar und könne
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