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Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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zugegeben«, fuhr Seidentopf fort, »scheint mir unser Streit durch dein eigenes Entgegenkommen geschlichtet. Ich danke dir für diesen Akt der Unparteilichkeit und Selbstbeherrschung. Dieser Wagen ist bronzen; und weil er bronzen ist, ist er germanisch. Das ist der Punkt, auf den es ankommt. Was er innerhalb der germanischen Welt war, das ist erst von zweiter Bedeutung. Doch muß ich dabei bleiben, daß auch darüber nicht wohl ein Zweifel sein kann. Hier diese Vögel auf Achse und Gabeldeichsel führen den Beweis. Es sind die Raben Odins. Sie fliegen vor ihm her; wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, sie ziehen das rätselvolle Gefährt.«
    »Du hältst dies also für Raben?«
    »Der Augenschein überhebt mich jeder weiteren Ausführung«, erwiderte der Pastor.
    »Nun, so erlaube mir die Bemerkung, daß nach meiner ornithologischen Kenntnis, die wenigstens auf dem ganzen, zwischen Fasan und Bekassine liegenden Gebiete der deinigen überlegen ist, diese sogenannten Raben Odins nicht mehr und nicht weniger als alles sein können, was je mit Flügeln schlug, vom Storch und Schwan an bis zum Kernbeißer und Kreuzschnabel. Und so ruf ich dir denn zu: ›Heil diesem Isis- und Osiriswagen, denn sechs Ibis sitzen auf seiner Deichsel, Heil diesem Jupiterwagen, denn sechs Adler fliegen vor ihm her.‹«
    Während dieser Kontroverse hatte die Haushälterin nebenan mit Tellern und Tassen geklappert und die Beine des Ausziehtisches mit jener rücksichtslosen Lautheit eingeschraubt, die seit alter Zeit her das Vorrecht des von seiner Wichtigkeit überzeugten Küchendepartements bildet. Trotz dieses Lärmens indes waren die scharfen Töne Turganys bis in das dahintergelegene Gesellschaftszimmer gedrungen und veranlaßten hier um so rascher einen allgemeinen Aufbruch, als das immer gern gehörte »Zu Tisch« ohnehin jeden Augenblick gesprochen werden konnte. Renate und Marie, die den Zug führten, erschienen auf der Schwelle des Studierzimmers, als der Justizrat eben seine letzten spöttischen Trümpfe ausspielte.
    »Willkommen!« rief Turgany. »Unsere jungen Freundinnen, die Vertreter heiterer Unbefangenheit in diesem Kreise, sollen einen Gerichtshof bilden und zwischen dir und mir entscheiden. Cour d’amour, Sängerstreit; Seidentopf und Turgany in den Schranken.«
    Seidentopf war es zufrieden. Alles versammelte sich um den Tisch, und Renate, den Vorsitz nehmend, forderte die streitenden Parteien auf, ihre Sache zu führen. Turgany sprach zuerst; dann schloß Seidentopf: »Und so spitzt sich denn die Frage einfach dahin zu: ist dieser Wagen ein Gegenstand des Kultus, oder ist es ein bloßer Tand? Wurde andächtig zu ihm aufgeschaut oder wurde mit ihm gespielt? Und nun, ihr Raben Odins, zieht eure Kreise und kündet das rechte Wort.«
    Renate warf einen Blick auf die Streitenden, dann sagte sie: »Welche Blindheit, ihr Freunde, daß ihr den Wald vor Bäumen nicht seht! War je eine Frage leichter zu entscheiden? Wozu das Suchen in dunkler Ferne? Dieser Wagen, von allerdings symbolischer Bedeutung, ist nichts anderes als ein Streitwagen , das zwischen Drossen und Reppen aufgefundene Bild eurer eigenen urewigen Fehde.«
    Alles stimmte heiter zu, und die gemeinschaftlich Verurteilten reichten sich die Hand. Renate aber, den Winken der im Hintergrunde beschäftigten Alten endlich die gebührende Aufmerksamkeit schenkend, nahm jetzt den Arm Seidentopfs und schritt dem Nebenzimmer zu, darin auf gastlich hergerichteter Tafel das Linnen glänzte und die Lichter brannten.

Vierzehntes Kapitel
     
    »Alles, was fliegen kann, fliege hoch«
     
    Das Nebenzimmer war das Eßzimmer, das von dem Vorrecht aller Speiseräume, kahl und schmucklos sein zu dürfen, den ausgiebigsten Gebrauch machte. Nur zweierlei unterbrach die vorherrschende Nüchternheit: über der nach dem Korridor hinausführenden Tür hing eine große, stark nachgedunkelte, von irgendeinem Niederländer aus der Rubensschule herrührende Bärenhatz, während am Spiegelpfeiler der gegenübergelegenen Schmalwand eine hohe Nußbaumetagere stand, auf deren oberstem Brett ein durchbrochener Korb mit bemaltem Alabasterobst, Birnen, Orangen und Weintrauben paradierte. Die »Bärenhatz« hatte sich vor mehr als fünfzig Jahren, bei Renovierung des Vitzewitzeschen Speisesaales, aus dem Herrenhause nach dem Predigerhause verirrt, in dem damals ein lebelustiger Amtsvorgänger Seidentopfs, soweit ihn nicht Fuchs- und Hasenjagd in Anspruch nahmen, der Hohen-Vietzer Seelsorge oblag.
    So

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