Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
so war die Kunst des Schweigens, des Unterdrückens und Verleugnens, die beständig geübt werden mußte, kaum geringer. »Schwerins mit der Fahne« durfte nie gedacht werden; ein Hinweis auf diesen großen Prager Rivalen würde nur zu den ernstesten Verstimmungen geführt haben, und der Prinz, von dem Wunsche erfüllt, einen solchen störenden Zwischenfall von vornherein ausgeschlossen zu sehen, hatte nicht Anstand genommen, »den auf allen Jahrmärkten besungenen Heldentod« einfach als eine »Bêtise« zu bezeichnen.
All diesen Eigenarten, auch wo sie sich bis zur Laune und Ungerechtigkeit steigerten, wußte sich die Gräfin zu bequemen, und ihrer Mühen Lohn war eine sechzehnjährige Herrschaft. Erst das Jahr 1786, ohne diese Herrschaft zu beseitigen, schuf doch einen Wandel der Verhältnisse überhaupt. Der Große König starb, und sein Hinscheiden ermangelte nicht, auch das Rheinsberger Leben empfindlich zu berühren. Der kleine Hof wurde wie auseinandergesprengt; alle freieren Elemente desselben, die großenteils mehr aus Opposition gegen den König als aus Liebe zum Prinzen sich um diesen geschart hatten, schlossen wieder ihren Frieden mit der Staatsautorität und waren froh, aus einem engen und aussichtslosen Kreis in den öffentlichen Dienst zurücktreten zu können. Unter diesen war auch Graf Pudagla. Er ging in demselben Herbst noch nach England, wozu ihn, neben seiner Vertrautheit mit Politik und Sprache, seine freundschaftlichen Beziehungen zu mehreren einflußreichen Familien befähigten. Als ihm diese auszeichnende Mission angetragen wurde, stellte er, besserer Repräsentation halber, an die Gräfin das Ansinnen, ihn zu begleiten. Sie lehnte jedoch ab, zum Teil aus wirklicher Anhänglichkeit an den Prinzen, mehr noch aus einer ihr angeborenen Abneigung gegen England.
Sie blieb also, blieb und huldigte, ohne ihres Bleibens und ihrer Huldigungen noch recht froh zu werden. Die glücklichen Tage lagen eben zurück. Alles war verändert, nicht nur der Hof, auch der Prinz. Seine Mißstimmungen wuchsen. Die staatlichen Interessen, so viele Jahre zurückgedrängt, traten wieder in den Vordergrund und beunruhigten ihn. Namentlich von dem Augenblick an, wo sich in Paris erkennbar die Gewitter zusammenzogen. Vor seinem großen, nun heimgegangenen Bruder, so wenig er ihn geliebt, so viel er ihn bekrittelt hatte, hatte er doch schließlich allem Besserwissen zum Trotz einen tiefgehenden, ganz ungeheuchelten Respekt empfunden; nichts davon flößten ihm die neuen Verhältnisse ein, noch weniger die Personen. Die Weiberherrschaft, weil alles Feinen und Geistigen entkleidet, war ihm ein Greuel, und unserer Gräfin huldvoll die Hand küssend, sagte er, als der Name der Madame Rietz in seiner Gegenwart genannt wurde: »Je la déteste de tout mon coeur; mes attentions, comme vous savez bien, appartiennent aux dames, mais jamais aux femmes.«
Dies waren Äußerungen besonderen Vertrauens; nichtsdestoweniger überkam die Gräfin das Gefühl, daß ihre Rheinsberger Tage gezählt seien. Sie sehnte sich nicht fort, aber sie bereitete sich in ihrem Herzen darauf vor. Und der Augenblick kam eher, als sie erwartet. Anno 1789 war der Graf auf kurzen Urlaub zurück. Er erkrankte, von einem Schlaganfall getroffen, im Vorzimmer des Königs; am anderen Tage war er tot. Die Nachricht davon erschütterte die Witwe mehr, als diejenigen, die ihre Ehe kannten, erwartet hatten; sie wurde sich jetzt bewußt, in Hochmut und Caprice nicht seine Liebe, aber den Wert seiner edelmännischen Gesinnung unterschätzt zu haben. Sein Testament, das aufs neue ein vollkommener Ausdruck dieser Gesinnung war, konnte die Vorstellung ihres Unrechts, so frei sie ihrer ganzen Natur nach von sentimentaler Reue blieb, nur steigern. Schloß Guse, das, aus freier Hand erstanden, nicht zu den Familiengütern zählte, war der Gräfin samt einem bedeutenden Barvermögen zugeschrieben worden. Sie beschloß, ihr Erbe anzutreten und die Verwaltung des Gutes selbst in die Hand zu nehmen. Nur noch den Winter über wollte sie am Rheinsberger Hofe verweilen; bei Ablauf desselben schied sie nicht ohne Bewegung von dem Prinzen, der ihr neben andern Souvenirs ein eigens gedichtetes Akrostichon überreicht hatte.
Am Osterheiligabend 1790 traf sie in Schloß Guse ein.
Das Schloß konnte zunächst nur den allerunwohnlichsten Eindruck machen. Die Administrationsjahre hatten es, einige wenige Räume abgerechnet, in eine Art Korn- und Futtermagazin umgewandelt; Raps und
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