Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
und schritten durch das Billard- und Spiegelzimmer in den »Salon«. Sich selbst überlassen, traten sie hier an das in einer breiten und tiefen Nische befindliche Eckfenster, dessen untere Hälfte aus einer einzigen Scheibe bestand. Damals etwas Seltenes und sehr bewundert. Die Eisblumen waren halb weggeschmolzen und gestatteten einen Blick ins Freie. Über das Schwanenhäuschen hin, das nur noch mit seinem Spitzdach aus dem verschneiten Schloßgraben emporragte, sahen sie gradaus in eine kahle Kirschallee hinein, die sich bis an die Grenze des Parkes zog. An den vordersten Stämmen waren einige Dohnensprengsel mit ihren roten Ebereschenbüschelchen sichtbar, während am Ausgange der Allee der dunkele Carzower Kirchturm stand, dessen vergoldete Kugel eben in der untergehenden Sonne leuchtete. Um die Geschwister her war alles still; sie hörten nur, wie das mehr und mehr abtauende Eis in einzelnen Tropfen in die Blechbehälter fiel.
Dieser Platz am Fenster war anheimelnd genug; jeder andere Besucher aber würde es doch vorgezogen haben, das letzte Tageslicht noch zu einem Umblick in dem »Salon« selbst zu benutzen. Es war ein quadratischer Raum, der in seiner Einrichtung für ebenso geschmackvoll wie wohnlich gelten konnte. Die den Fenstern gegenübergelegene Seite wurde von einem halbkreisförmigen Diwan eingenommen, der, in der Mitte geteilt, einen Durchgang zu den Flügeltüren des Eßsaales offen ließ. In den ebenfalls freibleibenden Ecken standen Lorbeer- und Oleanderbüsche, nach links und rechts hin verteilt. Neben der Oleanderecke stieg eine Wendeltreppe auf, das zierlich durchbrochene Geländer von Nußbaumholz. Ein dicker Teppich, in dem das türkische Rot vorherrschte, deckte den Fußboden; sonst war alles blau: die Wände, die Gardinen, die Möbelstoffe. Rings umher, auf Säulen und Konsolen, erhoben sich Büsten und Statuetten, deren leuchtendes Weiß beim Eintreten den ersten Eindruck gab. Erst später traten auch die Bilder hervor, die, stark angedunkelt, in kaum geringerer Zahl als jene Marmor- und Alabasterarbeiten das Zimmer schmückten. Es waren sämtlich Erinnerungsstücke aus den Rheinsberger Tagen her. Da war zunächst das Porträt des Prinzen selbst, etwas barock in Auffassung und Behandlung, die Aufschläge von Tigerfell, die Hand auf ein Felsstück und einen Schlachtplan gestützt. Gegenüber Schloß Rheinsberg, seine Front im Wasser spiegelnd, und über den See hin glitt ein Kahn, darin eine schöne Frau mit aufgelöstem Haar, blond wie eine Nixe, am Steuer saß. Es hieß, es sei die Gräfin. An den Fensterpfeilern, im Schatten und wenig bemerkbar, hingen die Pastellporträts der prinzlichen Tafelrunde: Tauentzien, die Wreechs, Knyphausen, Knesebeck; meistens Geschenke der Freunde selbst.
Lewin und Renate sahen noch der untergehenden Sonne nach, als sie aus der Tiefe des Zimmers her den Zuruf hörten: »Soyez les bien-venus.« Sie wandten sich und sahen die Tante, die von der Wendeltreppe her auf sie zuschritt.
Die Geschwister eilten ihr entgegen, ihr die Hand zu küssen.
Die Gräfin trug sich schwarz, selbst die Stirnschnebbe fehlte nicht. Es war dies, dem Beispiele regierender Häuser folgend, die Witwentracht, die sie seit dem Hinscheiden des Grafen nicht wieder abgelegt hatte. Im übrigen hätten Haube und Krause frischer sein können, ohne den Eindruck zu schädigen.
In der Nähe des Eckfensters stand eine »Causeuse«, die denselben Bleu-de-France-Überzug hatte wie alle übrigen Möbel. Dies war der Lieblingsplatz der Gräfin; Renate schob ein hohes Kissen heran, während Lewin sich der Tante gegenübersetzte. Das Gespräch war bald in vollem Gange, mit französischen Wörtern und Wendungen reichlich untermischt, die wir in unserer Erzählung nur sparsam wiedergeben. Die Tante schien gut gelaunt und tat Frage über Frage. Der Hohen-Vietzer Weihnachtsmorgen, sogar der Wagen Odins mußten ausführlich besprochen werden. Dies letztere war das überraschendste, denn in Sachen der Altertümlerei blieb die Guser Gräfin wenig hinter Bamme zurück. Auch Maries wurde gedacht, aber nur kurz, dann lenkte das Gespräch zu den Ladalinskis hinüber, an die das Haus Vitzewitz durch eine Doppelheirat zu ketten der sehnlichste Wunsch der Tante war. Ihr in diesem Wunsche nach Möglichkeit entgegenzukommen, würde sich, da sie die Erbtante war, unter allen Umständen empfohlen haben; es traf sich aber so glücklich, daß der Guser Familienplan und die Herzenswünsche der Hohen-Vietzer
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