Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
leicht.«
»Doch nicht, gib wenigstens eine Andeutung.«
»Gut. Er kam also nach Ziebingen, was im weiteren zur Bekanntschaft mit Graf Drosselstein und bald auch zur Übersiedelung nach Hohen-Ziesar führte. Ich kann mich dessen noch entsinnen. Es fiel ihm zu, in der etwas wüstgewordenen Bibliothek wieder Ordnung zu schaffen, und der Graf, soweit ihm die Parkanlagen Zeit ließen, ging ihm dabei zur Hand. Sie entdeckten alte, mit Initialen reichausgestattete Drucke, Ritterbücher aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, die nun, im Triumphe nach Ziebingen geschafft, einen erwünschten Stoff zu neuen Dichtungen und noch mehr zu kritischen Untersuchungen boten. Etwa um 1804 wurde die zweite Lehrerstelle in Kirch-Göritz frei. Dem Familieneinfluß erwies es sich nicht schwer, das Einrücken Faulstichs in diese Stelle durchzusetzen. Auch Tante Amelie wirkte mit. Es ist eine halbe Sinekure, und die paar pflichtmäßigen Lektionen fallen gelegentlich noch aus. Die Kirch-Göritzer müssen sich eben damit trösten, daß jede Stunde, die ihrer Stadtschule verloren geht, der romantischen Schule zugute kommt.«
»Ob es ihnen leicht wird?«
»Ich zweifle. Von dem Brombeerstrauche kleinstädtischer Magistrate sind eben keine Trauben zu pflücken. Auch läßt sich nicht behaupten, daß Dr. Faulstich es ihnen leicht macht.«
»Ist er hochmütig?«
»Im Gegenteil, er hat das Verbindliche, das allen Leuten innewohnt, die ihren ethischen Bedarf aus dem ästhetischen Fonds bestreiten. Er ist entgegenkommend, immer scherzhaft, zum mindesten kein Spielverderber. Dem allerkrausesten Zeuge hört er nicht nur geduldig zu, sondern antwortet auch mit einem verbindlichen ›Ihrem Gedankengange folgend‹, unter welchem Höflichkeitsdeckmantel er dann entweder erst Klarheit in das Chaos bringt oder auch gerade das Gegenteil von dem Gesagten festzustellen weiß. Seine Klugheit und seine affablen Manieren sind es, die ihn halten, aber er gibt Anstoß durch sein Leben, seinen Wandel.«
»So war sein Sich-heimisch-Fühlen im Hause der Rietz mehr als ein Zufall?«
»Ich fürchte, daß es so ist. Er lebt mit einer kinderlosen Witwe, einer Frau von beinahe Vierzig; du wirst sie sehen. Sie beherrscht ihn natürlich, und seine gelegentlichen Bestrebungen, ihr den bescheidenen Platz anzuweisen, der ihr zukommt, scheitern jedesmal.«
»Aber warum schüttelt er sie nicht ab?«
»Dazu gebricht es ihm an Kraft. Er ist eine schwache Natur. Und in dieser schwachen Natur steckt auch das, was mehr Anstoß gibt als alles andere: sein Mangel an Gesinnung.«
»Ist denn Kirch-Göritz der Ort, solche Schäden aufzudecken?«
»Ein jeder Ort, möcht’ ich meinen, ist dazu geschickt. Und Faulstich hält nicht hinterm Berge. Er bekennt sich offen zu seinem Sybaritismus, zu einer allerweichlichsten Bequemlichkeit, die von nichts so weit ab ist als von Pflichterfüllung und dem kategorischen Imperativ. Er kennt nur sich selbst. Alle Großtat interessiert ihn nur als dichterischer Stoff, am liebsten in dichterischem Kleide. Eine Arnold von Winkelried-Ballade kann ihn zu Tränen rühren, aber eine Bajonettattacke mitzumachen, würde seiner Natur ebenso unbequem wie lächerlich erscheinen.«
»Das teilt er mit vielen. Es ließe sich darüber streiten, ob das ein Makel sei.«
»Ich würde dir unter Umständen zustimmen können. Aber wenn wir im allgemeinen in der Aufstellung unserer Grundsätze strenger sind als in ihrer Betätigung, so gibt es doch auch Ausnahmen, wo wir dem Leben und seiner Praxis das nicht gestatten mögen, was uns der Theorie nach noch als statthaft erscheint. Ich weiß es nicht, aber ich gehe jede Wette ein, daß das, was in diesen Weihnachtstagen alle preußischen Herzen bewegt hat, von unserem Kirch-Göritzer Doktor entweder einfach als eine Störung empfunden oder aber gar nicht beachtet worden ist. Meine Shakespeareausgabe gegen ein Uhlenhorstsches Traktätchen, daß er vom 29. Bulletin auch nicht eine Zeile gelesen hat. Eine Einladung nach Guse oder Ziebingen erscheint ihm wichtiger als eine Monarchenzusammenkunft oder ein Friedensschluß. Er ist in nichts zu Hause als in seinen Büchern; Volk, Vaterland, Sitte, Glauben – er umfaßt sie mit seinem Verstande, aber sie sind ihm Begriffs-, nicht Herzenssache. Heute als Kustos an die Pariser Bibliothek berufen, würde er morgen bereit sein, den Kaiser zu apotheosieren. Und das empfinden die kleinen Leute, unter denen er lebt. Es wird jetzt ein Landsturm geplant; über kurz oder lang werden
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