Highland Secrets
1. Kapitel
Schon eine halbe Stunde über der Zeit. Ich konnte nur hoffen, dass dieser Anwalt Mr Ferguson nach mir nicht noch andere Termine hatte. Es war aber auch wie verhext. Heute war einer dieser grauenhaften Tage, an denen alles schief ging. Erst hatte das Museum in letzter Minute eine andere Restauratorin eingestellt, eine mit mehr Erfahrung. (Wie konnte eine frisch von der Universität kommende Restauratorin bitte Erfahrungen sammeln, wenn keiner ihr eine Chance gab?) Und dann hatte ich auch noch den Bus zurück in mein kleines Zwei-Zimmer Apartment verpasst und musste laufen. Ein Taxi konnte ich mir einfach nicht leisten. Nicht von den wenigen Reserven, die sich noch auf meinem Bankkonto befanden.
Die letzten Überbleibsel aus dem Erbe meiner Eltern. Wenn ich nicht bald eine Arbeit fand, dann würde ich auf der Straße sitzen – oder ich musste wieder bei meiner Großmutter einziehen, was ich absolut nicht in Betracht ziehen wollte. Alice Kent war einer dieser kontrollsüchtigen Menschen, die immer und zu jedem Zeitpunkt über das Leben anderer informiert sein wollten. Gleichzeitig aber mit Ignoranz und Gefühlskälte bestraften. Ich war bei ihr aufgewachsen, nachdem meine Eltern bei einem Zugunglück in der Nähe von London gestorben waren. Damals war ich vierzehn, und vielleicht war ich auch nicht besonders umgänglich. Trotzdem war das Zusammenleben mit meiner Großmutter alles andere als angenehm.
Ich lief die lange Villenstraße hinunter und suchte mit den Augen nach der Hausnummer 143. In diesem Gebäude hatte der Anwalt, der mir eine Einladung geschickt hatte, sein Büro. Ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte. Auf meine Nachfrage am Telefon hatte er nur geäußert, es ginge um eine wichtige Angelegenheit über die er nicht sprechen dürfe, nur wenn ich persönlich vor ihm erscheinen würde.
Ich hatte also zähneknirschend den Bus bis ans andere Ende von London genommen und war hergefahren und lief jetzt auf der Suche nach dem richtigen Haus durch den Regen. Die Absätze meiner Kaufhausschuhe klackerten auf den Steinplatten, Pfützenwasser spritzte mir an die Waden und drang durch meine Seidenstrumpfhosen. Ich hätte mir gerne etwas anderes angezogen, aber dafür war nicht mehr genug Zeit geblieben, obwohl ich vom Museum aus noch einmal nach Hause musste, um das Schreiben des Anwalts zu holen, weil ich es liegen gelassen hatte und die Adresse nicht im Kopf hatte.
Ich konnte nicht sagen, dass es mich sonderlich interessierte, warum Mr Ferguson mich unbedingt persönlich sehen wollte, bei meinem Glück hatte ich irgendwann irgendwo eine rote Ampel überfahren und die Strafe nicht bezahlt. Trotzdem befand ich mich jetzt auf dem Weg in die Kanzlei, weil ich, wenn auch nicht zuverlässig, zumindest pflichtbewusst war. Und wenn ich tatsächlich eine Rechnung übersehen hatte, dann würde ich diese zahlen, solange ich noch dazu in der Lage war.
Endlich stand ich vor dem Haus Nummer 143. Wie alle anderen Gebäude hier, stammte es aus der Viktorianischen Ära und war sehr gut in Schuss. Dunkelrot verputzte Wände, weiß e Rahmen um die Fenster, ein niedriger schwarzer gusseiserner Zaun und Blumenkästen, in denen Stiefmütterchen blühten, vor den hohen Fenstern. Ich ging die Stufen zur Eingangstür hoch, betätigte die Klingel und während ich wartete, verschloss ich meinen Regenschirm mit den süßen Pudeln, richtete meinen anthrazitfarbenen Bleistiftrock und die dazugehörige Kostümjacke, die ich extra für die Vertragsunterzeichnung im Museum angezogen hatte.
Eine Dame mittleren Alters öffnete mir, lächelte mich leicht verschnupft an und musterte mich mit hochgezogener Stirn.
»Sie sind Ms Sands?«
Ich nickte unsicher und unterdrückte ein Schnauben, weil mir ein Regentropfen an der Nasenspitze hing.
»Kommen Sie rein, bitte. Mein Mann wartet in seinem Büro auf Sie. Sie sind spät dran«, sagte die Dame unter deren perfekten kastanienbraun gefärbten Haaren sich sicher schon graue verbargen. Sie trug ein hellblaues Kostüm von der Art, wie sie die Queen gerne trug. Dieses war mit Sicherheit auch in einer ähnlichen Preisklasse wie die der Queen.
Sie trat beiseite und ließ mich in einen geräumigen Eingangsbereich treten. »Stellen sie ihren Regenschirm bitte dort hinein.« Sie wies auf einen Schirmständer, ich kam ihrer Bitte mit einem unechten Lächeln nach. Es kam selten vor, dass mir jemand vom ersten Augenblick an unsympathisch war, doch diese Frau war es. Ihr arroganter Blick,
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