Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
nach einem langen Stillschweigen wieder für einen Augenblick aufheiterte: »bei alledem ist das eine bloße Behauptung. Fitz-Marshall ist ein sehr einnehmender Mann – und hat ohne Zweifel viele Feinde. Welche Beweise haben Sie für die Wahrheit Ihrer Angaben?«
»Stellen Sie ihn mir gegenüber«, erwiderte Herr Pickwick: »das ist alles, was ich verlange und alles, was ich mir ausbitte. Stellen Sie ihn mir und meinen Freunden gegenüber, so werden Sie keiner weiteren Beweise bedürfen.«
»Nun«, versetzte Herr Nupkins, »das läßt sich sehr leicht bewerkstelligen, denn er wird diesen Abend hier sein, und dann würde zugleich das Aufsehen vermieden. Es wäre mir bloß – bloß – um den jungen Mann selbst, Sie verstehen mich. Ich – ich möchte aber doch vorerst Madame Nupkins über das Geeignete eines solchen Schrittes um Rat fragen. Auf alle Fälle, Herr Pickwick, müssen wir unser Amtsgeschäft ins reine bringen, ehe wir an etwas anderes gehen können. Haben Sie die Güte, wieder in das andere Zimmer zu treten.«
Sie kehrten in das Amtszimmer zurück.
»Grummer«, rief der Beamte mit feierlichem Tone.
»Ihr Gestrengen«, erwiderte Grummer mit dem Lächeln eines Günstlings.
»Gehen Sie«, sagte der Beamte streng, »und nehmen Sie sich in acht, daß Sie sich künftig nicht mehr übereilen. Es geziemt Ihnen gar nicht, und ich kann Sie versichern, Sie haben sehr wenig Ursache, darüber zu lächeln. War der Bericht, den Sie mir soeben erstattet, durchaus der Wahrheit getreu? Besinnen Sie sich wohl, Mensch.«
»Ihr Gestrengen«, stotterte Grummer, »ich –«
»Ah, Sie kommen in Verwirrung – nicht wahr?« sagte der Beamte. »Herr Jinks, bemerken Sie seine Verwirrung?«
»Jawohl, Sir«, erwiderte Jinks.
»Wiederholen Sie jetzt Ihre Aussagen, Grummer«, sagte der Beamte; »und noch einmal warne ich Sie, besinnen Sie sich wohl. – Herr Jinks, nehmen Sie seine Angaben zu Protokoll.«
Der unglückliche Grummer begann also seinen Bericht aufs neue: allein die Art und Weise, wie Herr Jinks seine Worte zu Protokoll und der Beamte sie auf die Wagschale legte, verbunden mit seinem natürlichen Hang zu Weitschweifigkeiten und seiner außerordentlichen Verwirrung, verwickelte ihn in einem Zeitraum von weniger als drei Minuten in eine solche Menge von Widersprüchen, daß Herr Nupkins auf einmal erklärte, er könne ihm keinen Glauben schenken. Die Strafen wurden also erlassen, und Herr Jinks wußte im Augenblick ein paar Bürgen. Als nun die ganze feierliche Gerichtsverhandlung zur allgemeinen Zufriedenheit geschlossen war, wurde Herr Grummer schimpflich hinausgewiesen – ein furchtbarer Beweis der Unbeständigkeit menschlicher Größe und der unsicheren Stellung eines Günstlings der Großen. –
Frau Nupkins war eine majestätische Person in einem blauen Gazeturban und lichtbraunen falschen Haaren. Fräulein Nupkins besaß alles Hochfahrende ihrer Mama, außer dem Turban, und alles Falsche dieser, außer den Haaren. Wenn die Ausübung dieser liebenswürdigen Eigenschaft Mutter und Tochter, wie es nicht selten der Fall war, in eine unangenehme Lage versetzte, so kamen beide darin überein, die Schuld auf Herrn Nupkins’ Schultern zu legen. Als daher Herr Nupkins Frau Nupkins aufsuchte und ihr verriet, was Herr Pickwick ihm anvertraut hatte, erinnerte sich Frau Nupkins plötzlich, daß sie immer so etwas der Art erwartet, daß sie immer gesagt, dahin würde es noch kommen; daß man nie auf ihren Rat geachtet, daß sie wirklich gar nicht wisse, wofür Herr Nupkins sie halte, und so weiter.
»Der Gedanke«, sagte Fräulein Nupkins, aus jedem Augenwinkel eine Träne von kaum bemerkbaren Dimensionen hervorpressend: »der Gedanke, so zum besten gehalten worden zu sein –«
»Dafür kannst du dich bei deinem Papa bedanken«, fiel Frau Nupkins ein. »Wie habe ich den Mann gebeten und beschworen, sich nach des Kapitäns Familienverhältnissen zu erkundigen: wie bin ich in ihn gedrungen, einen entscheidenden Schritt zu tun! Ich weiß gewiß, niemand wird mir’s glauben – niemand.«
»Aber meine Liebe«, sagte Herr Nupkins.
»Entschuldige dich nicht, du machst die Sache nur schlimmer: entschuldige dich nicht«, fiel Frau Nupkins ein.
»Meine Liebe«, begann Herr Nupkins aufs neue, »du hast doch selbst Kapitän Fitz-Marshall so sehr begünstigt; hast ihn beständig zu uns eingeladen, meine Liebe, und hast keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ihn auch in andere Gesellschaften einzuführen.«
»Hab ich es
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