Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Herr Winkle, zitternd vor Angst, »ich – ich möchte es lieber nicht sagen.«
»Das ist wohl möglich«, sagte der kleine Richter, »aber Sie müssen.«
Unter dem tiefsten Schweigen der ganzen Versammlung erklärte also Herr Winkle mit stotternder Stimme: der einzige unbedeutende Vorfall, der Verdacht erregen könne, sei, daß man Herrn Pickwick einmal um Mitternacht im Schlafzimmer einer Dame gefunden habe, und, soviel er wisse, sei infolge dieser Entdeckung die projektierte Heirat besagter Dame rückgängig gemacht worden; auch wisse er bestimmt, daß alle dabei Beteiligten mit Gewalt vor Georg Nupkins, Esquire, den Friedensrichter, und Mayor von Ipswich, geführt worden.
»Jetzt können Sie die Zeugenloge verlassen, Sir«, sagte Prokurator Snubbin.
Herr Winkle tat es und rannte wie besessen nach dem George und Geier, allwo der Kellner ihn einige Stunden nachher jammervoll stöhnend und ächzend, den Kopf in die Sofakissen begraben, entdeckte.
Tracy Tupman und Augustus Snodgraß wurden hierauf hintereinander in die Zeugenloge gerufen. Beide bestätigten die Aussage ihres unglücklichen Freundes, und beide wurden durch verfängliche Fragen aus der Fassung gebracht.
Jetzt wurde Susanna Sanders aufgerufen und zuerst von Prokurator Buzfuz, sodann von Prokurator Snubbin befragt. Sie habe, erklärte sie, immer gesagt und geglaubt, Herr Pickwick werde Frau Bardell heiraten. Sie wisse, daß nach der Ohnmachtsgeschichte im Juli die ganze Nachbarschaft von nichts gesprochen habe, als von dem Verlöbnis zwischen Frau Bardell und Herrn Pickwick; sie habe es Frau Muderry, die eine Wäschemangel besitze, und Frau Bunkin, die Weißnäherin sei, mehr als einmal sagen hören, obgleich sie keine von beiden hier im Saale erblicke. Sie habe gehört, wie Herr Pickwick das Kind gefragt, ob es sich freuen würde, wenn es wieder einen Vater bekäme. Sie wisse nichts davon, daß Frau Bardell um diese Zeit ein vertrautes Verhältnis mit dem Bäcker gehabt, nur soviel könne sie sagen, daß der Bäcker damals ledig gewesen sei, sich aber jetzt verheiratet habe. Sie könne nicht darauf schwören, daß Frau Bardell nicht sehr verliebt in den Bäcker gewesen sei, glaube aber, der Bäcker müsse nicht sehr verliebt in Frau Bardell gewesen sein, weil er sonst gewiß keine andere geheiratet hätte. Sie glaube, Frau Bardell sei an jenem Julimorgen in Ohnmacht gefallen, weil Herr Pickwick in sie gedrungen habe, den Hochzeitstag zu bestimmen; sie erinnere sich wohl noch, daß sie (die Zeugin) wie tot niedergefallen sei, als Herr Sanders sie gebeten, den Tag festzusetzen, und sie glaube, daß es jeder anständigen Dame unter ähnlichen Umständen ebenso ergehen werde. Sie habe ferner gehört, wie Herr Pickwick den Knaben wegen seinen Marmeln gefragt habe, sie könne aber bei einem Eid nicht einmal den Unterschied zwischen Marmeln und Murmeln angeben.
Auf weitere Fragen des Richters erzählte sie noch, sie habe während ihres Verhältnisses mit Herrn Sanders auch Liebesbriefe von ihm erhalten wie andere Damen. Herr Sanders habe sie in seiner Korrespondenz zwar oft eine Gans genannt, niemals aber Kotelettes oder Tomatensauce. Er habe die Gänse für sein Leben gern gegessen. Vielleicht würde er, wenn er ebenso gern Kotelettes und Tomatensauce gegessen hätte, sie in seiner Zärtlichkeit auch so geheißen haben.
Prokurator Buzfuz erhob sich jetzt, wenn es möglich gewesen wäre, mit größerer Wichtigkeit, als er jemals an den Tag gelegt, und rief:
»Samuel Weller soll jetzt kommen.«
Es war höchst unnötig, so laut zu schreien, denn Samuel Weller befand sich in der Zeugenloge, als sein Name kaum ausgesprochen war. Er legte seinen Hut neben sich auf den Boden, die Arme auf das Geländer, besah sich die Anwälte aus einer Vogelperspektive und nahm mit merkwürdiger Unbefangenheit und Heiterkeit einen umfassenden Überblick über die Herren Richter.
»Wie heißen Sie, Sir?« fragte der Richter.
»Sam Weller, Mylord«, erwiderte dieser Gentleman.
»Schreiben Sie sich mit dem V oder mit dem W?« fragte der Richter weiter.
»Das kommt ganz auf den Geschmack und das Belieben des Schreibenden an, Mylord«, erwiderte Sam: »ich selbst habe bloß ein paarmal in meinem Leben Veranlassung gehabt, meinen Namen zu schreiben, aber ich machte immer ein V.«
Hier rief eine Stimme von der Galerie herab laut:
»Ganz recht, Samuel, ganz recht: machen Sie ein V, Mylord, machen Sie ein V.«
»Wer ist es, der es wagt, den Gerichtshof anzureden?« rief der
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