Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
und nach der Straße zu?«
»Ja, Sir«, antwortete Frau Cluppins.
»Was hatten Sie denn im Hinterstübchen zu schaffen, Madame?« fragte der kleine Richter.
»Mylord und meine Herren Geschworenen«, sagte Frau Cluppins in rührender Aufregung, »ich will Sie nicht täuschen.«
»Sie würden auch nicht wohl daran tun«, bemerkte der kleine Richter.
»Ich war dort«, erzählte Frau Cluppins, »ohne daß Frau Bardell es wußte. Ich war mit einem kleinen Korb ausgegangen, meine Herren, um drei Pfund rote Kartoffeln zu kaufen, was im Ganzen dritthalb Pence ausmacht, als ich die Haustür der Frau Bardell offen sah. Ich ging also hinein, meine Herren, um ihr guten Morgen zu wünschen, lief aber in Gedanken die Treppe hinauf und in das Hinterzimmer. Meine Herren, da hörte ich im Vorderzimmer mehrere Stimmen, und –«
»Und Sie horchten ohne Zweifel, Frau Cluppins?« unterbrach sie Prokurator Buzfuz.
»Bitte um Verzeihung, Sir«, erwiderte Frau Cluppins in majestätischem Ton; »so etwas zu tun, dafür bin ich mir zu gut! Die Stimmen waren sehr laut, Sir, und drängten sich mit Gewalt meinen Ohren auf.«
»Nun gut, Frau Cluppins, Sie horchten also nicht, hörten aber dennoch die Stimmen. War eine derselben die des Herrn Pickwick?«
»Ja, Sir.«
Und Frau Cluppins trug jetzt, nachdem sie deutlich angegeben, daß Herr Pickwick mit Frau Bardell gesprochen habe, langsam und mit vielen Umschweifen die unsern Lesern bereits bekannte Unterhaltung vor.
Die Geschworenen sahen bedenklich drein und Herr Prokurator Buzfuz setzte sich lächelnd. Noch unheimlicher wurden aber ihre Mienen, als Herr Prokurator Snubbin erklärte, er könne die Zeugin nicht mehr ausfragen, denn Herr Pickwick selbst müsse eingestehen, daß ihre Aussage im wesentlichen richtig sei.
Da nun Frau Cluppins einmal das Eis gebrochen hatte, so hielt sie dies für eine günstige Gelegenheit, sich auf eine kurze Darstellung ihrer eigenen häuslichen Verhältnisse einzulassen; sie benachrichtigte daher den Gerichtshof geradezu, daß sie in diesem Augenblick Mutter von acht Kindern sei und die zuversichtliche Hoffnung nähren dürfe, nach etwa sechs Monaten Herrn Cluppins mit einem neunten zu beschenken. Bei dieser interessanten Mitteilung legte sich der kleine Richter voll Zorn ins Mittel, und die Folge davon war, daß sowohl die würdige Dame, als auch Frau Sanders unter Begleitung des Herrn Jackson ohne weitere Umstände aus dem Gerichtssaal hinausgeführt wurden.
»Nathaniel Winkle!« rief Herr Skimpin.
»Hier!« erwiderte eine schwache Stimme.
Herr Winkle trat in die Zeugenloge und verbeugte sich, nachdem er den vorgeschriebenen Eid geschworen, ehrfurchtsvoll gegen den Richter.
»Sehen Sie mich nicht an, Sir«, sagte der Richter, statt für den Gruß zu danken, in verweisendem Tone: »sehen Sie nur auf die Geschworenen!«
Herr Winkle gehorchte dem Befehl und sah nach dem Platze, wo seiner Wahrscheinlichkeitsberechnung nach die Geschworenen sein mußten, denn in seinem verwirrten Geisteszustand war es ihm schlechterdings unmöglich, etwas genau zu sehen.
Herr Winkle wurde sofort von Herrn Skimpin, einem vielversprechenden jungen Manne von 42 bis 43 Jahren, verhört, dem natürlich alle« daran gelegen sein mußte, einen bekanntermaßen für die Gegenpartei eingenommenen Zeugen so sehr wie möglich aus dem Konzept zu bringen.
»Nun, Sir«, sagte Herr Skimpin, »haben Sie die Güte, Seine Lordschaft und die Jury Ihren Namen wissen zu lassen.«
Und Herr Skimpin neigte den Kopf auf die eine Seite, um die Antwort recht genau zu hören, indessen er den Geschworenen einen Seitenblick zuwarf, der deutlich genug sagte, bei Herrn Winkles natürlichem Hange zur Lüge könne man von ihm auch die Angabe eines falschen Namens erwarten.
»Winkle«, antwortete der Zeuge.
»Ihr Taufname, Sir?« fragte der kleine Richter ärgerlich.
»Nathaniel, Sir.«
»Daniel – vielleicht noch andere Taufnamen?«
»Nathaniel, Sir – Mylord, wollte ich sagen.«
»Nathaniel Daniel oder Daniel Nathaniel?«
»Nein, Mylord, blos Nathaniel, nicht Daniel.«
»Warum sagten Sie denn vorhin. Sie hießen Daniel, Sir?« fragte der Richter.
»Das habe ich nicht gesagt, Mylord«, antwortete Herr Winkle.
»Freilich haben Sie es gesagt, Sir«, erwiderte der Richter mit strengem Stirnrunzeln; »wie hätte ich denn Daniel aufschreiben können, wenn Sie nicht so gesagt hätten, Sir?«
Auf diesen Beweisgrund ließ sich natürlich nichts antworten.
»Herr Winkle hat ein kurzes
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