Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Pickwick, als ihm vor lauter Schütteln sein Arm weh tat.
»Nichts«, erwiderte Herr Winkle.
»Nun denn, gute Nacht«, sagte Herr Pickwick, seine Hand loszumachen suchend.
»Mein Freund, mein Wohltäter, mein verehrter Gefährte«, murmelte Herr Winkle, ihn am Handgelenk fassend; »beurteilen Sie mich nicht hart; tun Sie das nicht, wenn Sie hören, daß ich, durch unüberwindliche Hindernisse dazu genötigt – – «
»Wird’s bald?« sagte Herr Tupman, sich wieder in der Tür zeigend. »Kommen Sie oder sollen wir eingesperrt werden?«
»Ja, ja, ich bin bereit«, erwiderte Herr Winkle.
Und mit furchtbarer Anstrengung riß er sich los.
Als ihnen Herr Pickwick mit stummem Erstaunen durch den Gang nachblickte, erschien Sam Weller oben an der Treppe und flüsterte einen Augenblick Herrn Winkle etwas ins Ohr.
»O gewiß, verlassen Sie sich auf mich«, sagte dieser Herr laut.
»Danke Ihnen, Sir; aber Sie vergessen es doch nicht, Sir?« bemerkte Sam.
»Auf keinen Fall«, erwiderte Herr Winkle.
»Wünsche Ihnen Glück, Sir«, sagte Sam, an seinen Hut greifend. »Es hätte mich recht sehr gefreut. Sie begleiten zu können, Sir; aber die Herrschaft kommt natürlich zuerst.«
»Es ist ein sehr empfehlender Zug von Ihnen, daß Sie hier bleiben«, versetzte Herr Winkle.
Mit diesen Worten ging das Kleeblatt die Treppe hinab und verschwand.
»Höchst sonderbar«, sagte Herr Pickwick, in sein Zimmer zurückkehrend und sich in nachdenklicher Haltung an den Tisch setzend. »Was kann der junge Mann vorhaben?«
Er hatte einige Zeit über diesen Punkt nachgedacht, als die Stimme Rokers, des Schließers, fragte, ob er eintreten dürfe.
»Ich bringe Ihnen hier ein weicheres Kissen, Sir«, sagte Roker, »statt des bisherigen, das Sie gestern nacht gehabt haben.«
»Ich danke Ihnen«, versetzte Herr Pickwick. »Wollen Sie ein Glas Wein trinken?«
»Sie sind sehr gütig, Sir«, erwiderte Herr Roker, das dargebotene Glas annehmend. »Ihre Gesundheit, Sir.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Herr Pickwick.
»Ich bedaure. Ihnen sagen zu müssen, daß es Ihrem Gefährten diesen Abend sehr schlecht geht, Sir«, bemerkte Roker, das Glas niederstellend und das Futter seines Hutes musternd, um den Hut zum Aufsetzen vorzubereiten.
»Was? der Kanzleigefangene?« rief Herr Pickwick.
»Er wird nicht mehr lange Kanzleigefangener sein, Sir«, erwiderte Roker, seinen Hut umwendend, so daß er oben auf der rechten Seite den Namen des Hutmachers erblickte, wenn er hinein sah.
»Ich bin starr!« sagte Herr Pickwick. »Was meinen Sie damit?«
»Er ist schon lange schwindsüchtig gewesen«, versetzte Herr Roker, »und diesen Abend hat er außerordentliche Atmungsbeschwerden bekommen. Der Arzt sagt schon seit einem halben Jahre, nur eine Luftveränderung könne ihn retten.«
»Großer Gott!« rief Herr Pickwick; »so ist dieser Mann ein halbes Jahr lang von der Gerechtigkeit langsam gemordet worden?«
»Das verstehe ich nicht, Sir«, erwiderte Roker, den Hut zwischen beiden Händen an der Krempe wägend. »Es wäre ihm vermutlich an jedem andern Orte auch so gegangen. Diesen Morgen kam er aufs Krankenzimmer. Der Doktor sagt, man müsse ihm so viel als möglich stärkende Sachen geben, und der Vorsteher schickt ihm Wein, Fleischbrühe und dergleichen aus seinem eigenen Hause. Der Vorsteher ist unschuldig, das wissen Sie, Sir.«
»Natürlich«, erwiderte Herr Pickwick schnell.
»Ich fürchte jedoch«, sagte Roker kopfschüttelnd, »es ist alles umsonst. Ich bot Neddy soeben erst eine Wette von zwei Gläsern Schnaps gegen eines an, aber er wollte nicht, und da hatte er ganz recht. Danke Ihnen, Sir. Gute Nacht, Sir.«
»Halt«, rief Herr Pickwick mit ernstem Tone. »Wo ist das Krankenzimmer?«
»Gerade über Ihrem Schlafgemach, Sir«, antwortete Roker. »Ich will es Ihnen zeigen, wenn Sie mitkommen wollen.«
Herr Pickwick ergriff in Eile schweigend seinen Hut und folgte auf der Stelle.
Der Schließer ging still voran, und die Türklinke leise aufdrückend, forderte er Herrn Pickwick auf, einzutreten. Es war ein großes, kahles, ödes Zimmer mit einer Menge eiserner Halbbettstellen, auf deren einer der Schatten eines Menschen lag – bleich und geisterhaft. Er atmete hart und schwer und ächzte vor Schmerzen, so oft sich die Brust hob und so oft sie sich senkte. Am Bette saß ein kleiner, alter Mann in einer Schuhmacherschürze, der eine Hornbrille auf der Nase hatte und laut aus der Bibel vorlas. Es war jener uns bekannte »glückliche«
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