Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
zusammenträfen. Weiter sah er sich veranlaßt, auch das Fenster hinaufzusehen: und da die junge Dame noch immer dort stand, so erforderte es die allgemeine Höflichkeit, ihr wieder zuzublinzeln und in einem andern Schluck Bier mit stummem Wink ihre Gesundheit zu trinken, was Sam sofort tat. Nachdem er einem jungen, der solchem Beginnen mit weitgeöffneten Augen zusah, einen furchtbaren Zornblick zugeworfen hatte, schlug er seine Beine übereinander und begann nun, die Zeitung mit beiden Händen haltend, in allem Ernste zu lesen.
Kaum hatte er sich in den erforderlichen Zustand des Nachdenkens versetzt, als er aus einem entfernten Gange seinen eigenen Namen zu hören glaubte. Das war auch keine Täuschung, denn der Name lief alsbald von Mund zu Mund, und in wenigen Sekunden erzitterte die Luft mit lauter »Weller«.
»Hier!« schrie Sam mit Stentorstimme. »Was gibt’s? Wer fragt nach ihm? Ist ein Eilbote gekommen, um zu melden, daß mein Landhaus in Flammen steht?«
»In der Halle fragt jemand nach Ihnen«, sagte ein Mann, der neben ihm stand.
»Geben Sie auf das Blatt und den Krug acht, alter Kamerad, wollen Sie?« bat Sam. »Ich komme. Bei Gott, wenn sie mich vor die Schranken riefen, so könnten sie keinen größeren Lärm machen.«
Diese Worte unterstrich er durch einen sanften Schlag an den Kopf des vorerwähnten jungen Herrn, der, die unmittelbare Nähe der verlangten Person nicht ahnend, aus Leibeskräften »Weller« schrie. Sam eilte über den Hof und sprang die Treppe hinauf in die Halle. Hier war das erste, was seine Augen sahen, sein geliebter Vater, der mit dem Hute in der Hand auf der untersten Treppenstufe saß und alle halbe Minuten aus vollem Halse »Weller« rief.
»Warum schreit Ihr denn so?« fragte Sam energisch, als der alte Herr eben einen weiteren Schrei ausgestoßen hatte. »Ihr macht Euch ja so heiß, daß Ihr wie ein geplagter Glasbläser ausseht. Was gibt’s?«
»Aha!« rief der alte Herr: »ich fürchtete schon, du möchtest einen Gang um den Regentschaftspark gemacht haben, Sammy.«
»Still!« sagte Sam, »niemand verhöhnt das Opfer des Geizes. Und geht von dieser Treppe weg. Warum sitzt Ihr denn hier? Da ist doch gewiß mein Logis nicht.«
»Ich muß dir einen Spaß erzählen, Sammy«, versetzte der ältere Weller aufstehend.
»Wartet einen Augenblick«, sagte Sam. »Ihr seid ganz weiß hinten.«
»Das ist recht, Sammy, bürste mich ab«, versetzte Herr Weller, als ihn sein Sohn abstäubte. »Es möchte hier ein außerordentliches Ereignis sein, wenn jemand etwas Weißes auf dem Leibe hätte – nicht wahr, Sammy?«
Als Herr Weller sich vor Lachen schütteln wollte, winkte ihm Sam, innezuhalten.
»Seid ruhig«, sagte Sam. »Ein solcher alter Narr ist doch noch nie auf die Welt gekommen. Was habt Ihr jetzt zu lachen?«
»Sammy«, versetzte Herr Weller sich die Stirne abwischend, »ich fürchte, mich trifft dieser Tage noch der Schlag vor lauter Lachen.«
»Warum setzt Ihr Euch dem aus?« fragte Sam. »Nun was wolltet Ihr mir erzählen?«
»Wer, glaubst du, daß mit mir hierher gekommen sei, Samuel?« fragte Herr Weller, einen oder zwei Schritte zurücktretend, indem er den Mund aufsperrte und die Brauen in die Höhe zog.
»Pell?« sagte Sam.
Herr Weller schüttelte den Kopf und dehnte seine roten Backen durch das Gelächter aus, das er hervorzudrängen versuchte.
»Der Buntscheckige vielleicht?« riet Sam.
Herr Weller schüttelte wieder den Kopf.
»Nun, wer, denn?« fragte Sam.
»Deine Stiefmutter«, erwiderte Herr Weller.
Und es war ein Glück, daß er das endlich verriet, sonst wären seine Backen bei der unmäßigen Anstrengung unvermeidlich geborsten.
»Deine Stiefmutter, Sammy«, sagte Herr Weller, »und die Rotnase, mein Junge, die Rotnase. Ho! Ho! Ho!«
Bei diesen Worten bekam Herr Weller Lachkrämpfe, während ihn Sam mit einem breiten Grinsen ansah, das sich allmählich über sein ganzes Gesicht verbreitete.
»Sie sind hierher gekommen, um dir ins Gewissen zu reden, Samuel«, sagte Herr Weller, sich die Augen wischend. »Laß nur nichts von deinem merkwürdigen Gläubiger merken, Sammy.«
»Was? Wissen sie nicht, wer es ist?« fragte Sam.
»Nicht im mindesten«, versetzte sein Vater.
»Wo sind sie?« fragte Sam, mit dem Alten um die Wette lachend.
»In der Snuggerey«, versetzte Herr Weller. »Glaubst du, die Rotnase gehe hin, wo es nichts Gebranntes gibt? Nie, Samuel – nie. Wir hatten diesen Morgen eine sehr hübsche Fahrt vom Marquis
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