Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
wußte es wohl, daß mein wohlberechnetes Verfahren seinen Zweck nicht verfehlen konnte.«
Miss Maria Crumpton hatte hier eine Gelegenheit, sogleich anzuknüpfen und Mr. Dingwall zu sagen, daß Miss Lavinia durch die unzweifelhaft an sich richtige Rechnung einen unberechneten Strich gemacht hätte; allein, die unglückliche Miss Crumpton fühlte sich zu schwach dazu.
»Sie haben die Linie des von mir vorgeschriebenen Benehmens ohne Zweifel vollkommen eingehalten, Miss Crumpton?«
»Vollkommen, Sir!«
»Sie schrieben mir, daß meine Tochter allmählich wieder heiterer würde.«
»Sie wurde allerdings viel aufgeweckter.«
»Ich war im voraus davon überzeugt.«
»Ich fürchte nun aber, Sir«, sagte Miss Crumpton mit sichtlicher Bewegung, »ich fürchte, daß Ihr Plan nicht so wohl gelungen ist, wie zu wünschen wäre.«
»Wie!« rief der Prophet aus; »Miss Crumpton, ich erschrecke. Was ist vorgefallen?«
»Miss Brook Dingwall, Sir –«
»Nun, Ma’am –«
»Hat sich entfernt, Sir«, sagte Maria, eine starke Neigung zu einer Ohnmacht an den Tag legend.
»Hat sich entfernt!«
»Entführen lassen, Sir!«
»Entführen lassen – von wem – wann – wohin – wie?« schrie der bestürzte Diplomat fast.
Das natürliche Gesichtsgelb der unglücklichen Maria verwandelte sich in alle Farben des Regenbogens, indem sie ein kleines Paket auf Cornelius’ Tisch legte.
Er öffnete es hastig. Ein Schreiben von seiner Tochter, und ein zweites von Theodosius. Er durchlief den Inhalt – »bevor Sie diese Zeilen erhalten, weit entfernt – Berufung auf Ihre Gefühle – unwiderstehliche Macht der Liebe – Wachs – Sklaverei«, usw. usw. Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn und ging zur großen Beunruhigung der förmlichen Maria mit schrecklich langen Schritten auf und ab.
»Hören Sie«, sagte Mr. Brook Dingwall, plötzlich am Tische stillstehend und den Takt darauf schlagend, »von dieser Stunde an werde ich keinem Menschen, der Pamphlete schreibt, unter keinerlei Umständen wieder gestatten, ein Gemach dieses Hauses zu betreten, die Küche ausgenommen – ich gebe meiner Tochter und ihrem Mann hundertundfünfzig Pfund jährlich, und sie kommen mir nie wieder vor die Augen – und, alle Teufel! Ma’am, ich bringe einen Gesetzentwurf ein für Abschaffung der Vollendungsschulen!«
Es ist seit dieser zornigen Erklärung einige Zeit verflossen. Mr. und Mrs. Butler genießen ihre Seligkeit in einem ländlichen Häuschen in Balls-Pond, das reizend in der Nähe eines Backsteinfeldes gelegen ist. Sie haben keine Familie. Mr. Theodosius zeigt sehr wichtige Mienen und schreibt unaufhörlich; allein, infolge einer ruchlosen Verschwörung der Buchhändler wird keins der Erzeugnisse seiner Feder gedruckt. In seiner jungen Frau steigt der Gedanke auf, daß eingebildetes Elend wirklichen Leiden vorzuziehen und daß eine in Hast geschlossene und nach Muße bereute Verheiratung eine bitterere Schmerzensquelle sei, als sie es sich jemals geträumt hätte.
Nach ruhiger Überlegung sah sich Cornelius Brook Dingwall genötigt, einzuräumen, daß er das unglückliche Ergebnis seiner bewundernswürdigen Anordnungen nicht den Misses Crumpton, sondern seiner eigenen Diplomatie zuschreiben müsse. Er tröstete sich jedoch gleich anderen kleinen Diplomaten damit, daß, genau betrachtet, seine Pläne, wenn sie nicht gelungen waren, doch hätten gelingen sollen. Minerva-House befindet sich im Status quo, und die Misses Crumpton befinden sich fortwährend im friedlichen und ungestörten Genusse sämtlicher, ihrer Vollendungsschule entsprießender Vorteile.
Horatio Sparkins
»Wirklich, lieber Mann, er bewies Theresa am letzten Gesellschaftsabend große Aufmerksamkeiten«, sagte Mrs. Malderton zu ihrem Gatten, der, nach seinen Tagesmühen in der City, ein seidenes Tuch über den Kopf gedeckt, die Füße auf das Kamingitter gestellt hatte und seinen Portwein trank; »sehr große Aufmerksamkeiten; und ich wiederhole es, wir sollten ihm auf jede Weise entgegenkommen. Er muß durchaus zum Mittagessen eingeladen werden.«
»Wer muß eingeladen werden?« fragte Mr. Malderton.
»Du weißt ja, wen ich meine, liebster Malderton – der junge Mann mit dem schwarzen Backenbart und der weißen Halsbinde, der soeben in unserem Gesellschaftszirkel aufgetaucht ist und von dem alle Mädchen sprechen – der junge – wie heißt er doch? – Marianne, wie heißt er?«
Marianne war Mrs. Maldertons jüngste Tochter. Sie war beschäftigt, eine Börse
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