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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Zeitehe brächte reizvolle Bedingungen mit sich, denn bevor das Verfallsdatum wirksam werden würde, müssten gegebenenfalls Anstrengungen zur Verlängerung und Erneuerung unternommen werden. Das könnte die Beziehungspflege intensivieren, die Trennungsquote würde wohl kaum höher ausfallen als bei der Festlegung auf Lebenszeit. Sorge wäre dafür zu tragen, wie bei allen Trennungen, dass derjenige, der für den Anderen und gemeinsame Kinder eigene Vorhaben zurückstellt, keine materiellen Nachteile davonträgt. Eine freie Vereinbarung dieser Art ist jederzeit möglich, wünschenswert wäre jedoch auch eine gesetzliche Basis als Alternative zur Ehe auf unbestimmte Zeit. »Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur grossen Ehe taugen!« So sprach schon Friedrich Nietzsche in Also sprach Zarathustra (»Von alten und neuen Tafeln«, 24, sic! ), denn: »Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!«
    Nie sollte dabei in Vergessenheit geraten, was Novalis für die Grundlage jeder Ehe hielt: Die Ehe mit sich selbst . »Nur insofern der Mensch also mit sich selbst eine glückliche Ehe führt – und eine schöne Familie ausmacht, ist er überhaupt Ehe und Familienfähig« ( sic! , Novalis, Über die Liebe , Sammelband, 2001, 55 f.). Manche nehmen das wörtlich: Chen Wei Yi, Angestellte in Taiwan, gab sich Presseberichten zufolge 2010 vor einer Festversammlung selbst das Jawort, nachdem sie in erster Ehe lange mit ihrem Büro verheiratet war.
    Eine gute Beziehung zu sich erleichtert auch in der Beziehung zu Anderen die Atmung zwischen einer großen Nähe mit frivoler Sinnlichkeit, starken Gefühlen und spannenden Gesprächen sowie einer erholsamen Distanz , in der jeder seinem eigenen Leben nachgehen kann. Die bejahende Selbstbeziehung kann ihrerseits leidenschaftlich sein, wenngleich sich dabei die Frage aufdrängt, wo da noch Platz für Andere bleibt. Sie kann freundschaftlich sein, sodass das Selbst sich aus ruhiger Selbstgewissheit heraus offenhalten kann für Andere. Und sie kann kollegial sein, ein einfaches Mögen seiner selbst, sodassauch Andere gemocht werden können. Wenn jeder in einer Beziehung gut mit sich selbst umgehen kann, muss keiner danach suchen, mit einem Anderen gänzlich zu verschmelzen, wie dies die romantische Idee des »Einsseins« vorsieht. Jeder kann ein Leben für sich behalten und steht für den Fall, dass die Beziehung schwierig oder unmöglich werden sollte, nicht im Nichts. Wenn aber alles nur noch gemeinsam erlebt werden darf, haben zwei sich bald nichts mehr zu sagen.
    Wer eine große Herausforderung im Leben sucht, ist mit der Ehe gut bedient. In jeder Form, in der sie eingegangen wird, ist sie ein ontologischer Übergang von einer Weise des Seins (griechisch on ) zu einer anderen, ein Übergang zunächst von der begrenzten Wirklichkeit des Selbst zu den vielfältigen Möglichkeiten des Lebens mit dem Anderen, sodann zurück von diesen Möglichkeiten zur begrenzten Wirklichkeit mit diesem Menschen. Der erste Übergang wird besiegelt vom Ritual der Eheschließung, das nicht selten etwas über den zweiten Übergang verrät: Je pompöser der Auftakt, desto größer die Gefahr des Scheiterns. Da muss womöglich etwas beschworen werden, dessen sich die Beteiligten nicht so ganz sicher sind. Zweifel sind zu überwinden, in der Hoffnung, mit dem festlichen Auftakt sei das Wesentliche schon getan. In himmlische Höhen werden die Erwartungen geschraubt, aber Ehen werden nicht nur im Himmel geschlossen, sondern dort auch geschieden, spottete schon Oscar Wilde ( Ernst sein ist alles , 1895, 1. Akt). Im siebten Himmel denkt keiner mehr an die Details des Lebens auf Erden, aber entscheidend ist der irdische Alltag, und nur dann, wenn er akzeptiert wird, ist er immer wieder zu durchbrechen, um dem nachzugehen, was beide für schön halten. Am ehesten können die, die sich auf den Alltag und die Unterbrechung zwischendurch verstehen, aus der Lebensform der Ehe etwas machen, was das Leben beider steigert: »Ehe«, so noch einmal Nietzsche, »so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen« ( sic! , Also sprach Zarathustra I, 1883, »Von Kind und Ehe«).
Familie als experimentelle Lebensform
    Familie ist, wo Menschen sich nicht gleichgültig sind, beginnend, nicht endend, mit zweien. In moderner und andersmoderner Zeit muss sie keinen traditionellen, konventionellen und religiösen Normen mehr gehorchen, sondern wird zu einer Frage des

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