Dem Pharao versprochen
war das einzige Öl, das ich auf die Schnelle bekommen konnte. Die Götter standen mir bei, es hat funktioniert, und die Verdauung des Pferdes geriet wieder in Gang. Ich werde morgen den Göttern ein Trankopfer stiften, weil sie das Tier gerettet haben.«
Selket starrte ihren Bruder an. »Und wenn das Pferd gestorben wäre?«
»Dann wäre ich schwer bestraft worden, denn ich habe die Verantwortung für das Tier«, erklärte Duamutef. »Der andere Pferdepfleger erhielt dreißig Peitschenhiebe und wurde entlassen. Man warf ihm vor, er habe dem Pferd verdorbenes Futter gegeben.«
»Und das Pferd, das du betreut hast?«, fragte Selket gespannt. »Du hast doch sicher aufgepasst. Warum ist es krank geworden?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Duamutef. »Es gibt viele Gründe, warum ein Pferd Bauchweh bekommen kann. Manche Tiere sind empfindlicher als andere. Das Pferd, das heute krank war, ist einer der Lieblingshengste des Pharaos. Nicht auszudenken, wenn der Schimmelhengst bei der Rückkehr des Königs nicht mehr im Stall stehen würde.« Weil Imara sich gerade am Herd zu schaffen machte, beugte er sich zu Selket und flüsterte ihr zu: »Vielleicht müsste ich dann mit meinem Leben dafür bezahlen.«
Selket erschauderte. Sie hatte bisher nicht gewusst, was für ein großes Risiko es war, in den Stallungen des Pharaos zu arbeiten. »Ich werde für dich beten, damit die Götter dich auch in Zukunft beschützen!«
Anchesenamun zog einen Schleier über ihren Kopf, um unterwegs nicht erkannt zu werden. Dann verließ sie leise ihr Schlafgemach, huschte durch die Flure und schlüpfte durch eine Hintertür ins Freie.
Es wurde eben erst hell. Gräser und Blätter waren feucht vom Tau. Leichter Dunst schwebte über dem Boden. Anchesenamun fröstelte, während sie auf Selket wartete.
Sie war aufgeregt und neugierig. Was würde die Seherin ihnen prophezeien? Ob die Frau wirklich die Gabe des Zweiten Gesichts hatte? Es gab sicherlich Menschen, die tatsächlich in die Zukunft schauen konnten, aber es gab auch Betrügerinnen, die mit angeblichen Prophezeiungen ihren Lebensunterhalt verdienten. Aber Selket hatte ja behauptet, dass die Seherin nichts für ihre Dienste verlangte …
Anchesenamun war gespannt, diese Frau kennenzulernen.
Endlich erschien Selket. Sie machte einen abgehetzten Eindruck.
»Verzeih mir, dass ich dich habe warten lassen. Aber ich musste zuerst das Feuer im Herd entfachen, und heute wollte und wollte es nicht angehen. Ob das ein schlechtes Omen ist?«
»Der Wind wird durch den Kamin gedrückt haben, oder das Brennmaterial war feucht.« Anchesenamun hakte ihre Freundin unter. »Komm, jetzt lass uns gehen, bevor noch jemand kommt und uns aufhält.«
Sie wählten einen unauffälligen Weg durch die Palastanlagen. Eine halbe Stunde später hatten sie den Markt von Waset erreicht, auf dem die Händler gerade ihre Stände aufbauten. Die ersten Käufer hatten sich schon eingefunden, auf der Suche nach dem frischesten Fisch oder Obst, das auf dem Flussweg in die Stadt gelangt war. An mehreren Ecken wurde laut um den Preis gefeilscht. Die beiden Mädchen liefen gemeinsam von Stand zu Stand. Selket prüfte die Ware sorgfältig, bevor sie etwas kaufte und in ihren Korb steckte. Sie bezahlte mit selbstgefertigten Muschelketten und einmal mit einem kleinen Kupferstück, das sie schweren Herzens für ein Gazellenfilet aus der Hand gab. Der Händler wickelte das Stück Fleisch in einige große Blätter, damit es vor der Sonne geschützt war und frisch blieb.
»So, jetzt habe ich alles«, sagte Selket schließlich. »Wir können zu der Seherin gehen.«
Die hellsichtige Frau wohnte in einer kleinen armseligen Hütte am Stadtrand. In einem Pferch nebenan waren zwei Ziegen angebunden, die vor Hunger meckerten, als sie die beiden Mädchen sahen. Selket riss ein paar Stücke von den Blättern ab, in denen das Fleisch eingewickelt war, und warf sie den Ziegen hin. Gierig stürzten sich die Tiere auf das Grünzeug.
Im Eingang erschien eine alte Frau. Sie ging gebückt und benutzte einen Stock, um sich abzustützen. Es war die älteste Frau, die Anchesenamun je gesehen hatte. Ihr Gesicht war voller Runzeln, und graue Haarsträhnen lugten links und rechts unter dem Kopftuch hervor. Aber die dunklen Augen unter den buschigen grauen Brauen blickten noch klar und lebendig die beiden Besucherinnen an.
»Ich danke euch, dass ihr meine Ziegen füttert. Vielleicht könnt ihr ihnen nachher noch etwas Gras bringen. Mein
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