Dem Pharao versprochen
Armreif in ein kleines Kästchen, griff nach einem Krug und humpelte zur Tür hinaus, ohne sich noch einmal nach den Mädchen umzusehen.
Anchesenamun und Selket folgten ihr ins Freie. Anchesenamun war heilfroh, wieder im hellen Sonnenlicht zu stehen und der düsteren Atmosphäre in der Hütte entronnen zu sein. Die Alte hinkte mühsam zu ihrem Pferch, zog einen Holzschemel heran und versuchte unter Stöhnen und Ächzen, die Ziegen zu melken. Anchesenamun, die am Zaun lehnte, merkte, wie die Alte mit sich selbst redete. Sie verstand nur einige Worte, alles andere war undeutliches Gebrabbel.
»… mir verzeihen … nicht die ganze Wahrheit … zu schrecklich …«
Anchesenamun wurde blass. Bezog sich das Gemurmel auf die Prophezeiung? Was hatte die Alte ihnen verschwiegen? Sie hatte keine Gelegenheit mehr, darüber nachzugrübeln, denn Selket zog sie am Arm.
»Komm!«
Selket und Anchesenamun gingen schweigend nebeneinander her. An einem Feld machten sie halt. Selket begann, mit der Sichel das Gras am Feldrand abzuschneiden. Anchesenamun bückte sich und sammelte die abgeschnittenen Halme ein. Schließlich hatte sie die Arme voll.
»Ich glaube, das reicht vorerst, Selket. Lass uns zurückgehen, damit ich endlich dieses Gras loswerde.«
»Und ich die Sichel.« Selket kicherte.
Sie kehrten um. Während Anchesenamun das Gras im Pferch ausbreitete, brachte Selket die Sichel zurück und holte den Korb, den sie in der Hütte der Seherin zurückgelassen hatte. Die Alte war nirgends zu sehen.
Anchesenamun deutete auf den Korb. »Sieh lieber nach, ob noch alles drin ist, was du gekauft hast.«
Selket runzelte die Stirn. »Du meinst, sie hat vielleicht etwas … gestohlen?«
»Kann doch sein. Gelegenheit dazu hatte sie ja.«
Selket bückte sich und untersuchte den Korb. »Es fehlt nichts.«
»Umso besser.« Anchesenamun zupfte einige Grashalme von ihrem Gewand. »Lass uns nach Hause gehen, Selket. Diese Hütte ist mir irgendwie unheimlich.«
»Duamutef hat gestern Abend nach dir gefragt«, erzählte Selket auf dem Rückweg.
Anchesenamun fühlte, wie ihr Herz schneller schlug. »Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Eine Ewigkeit.«
»Er geht früh zur Arbeit und kommt spät heim. Manchmal schlafe ich schon, wenn er kommt. Seine Arbeit ist sehr anstrengend. Gestern wäre fast ein Pferd gestorben, aber er konnte es retten.«
»Richte ihm bitte Grüße von mir aus, wenn du ihn das nächste Mal triffst«, bat Anchesenamun. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, Duamutef noch einmal sehen und ungestört mit ihm reden zu können, bevor der Pharao nach Waset zurückkehrte.
Papyrus 2
Ob die Seherin die Wahrheit gesagt hat? Und was hat sie damit gemeint, dass mein Weg zum Glück weit sei? Was hat sie uns möglicherweise verschwiegen?
Ich bin beunruhigt … Vielleicht hätten wir die Seherin lieber doch nicht aufsuchen sollen. Aber jetzt ist es zu spät, es ist geschehen.
Noch etwas anderes beschäftigt mich. Ich muss ständig an Duamutef denken. Vielleicht liegt es daran, dass der Pharao bald zurückkommt und sich mein Leben dann verändern wird. Ich werde weniger Freiheiten haben als früher. Wahrscheinlich werde ich den Palast nicht mehr verlassen können, wann ich will, sondern ich werde mich nach Tuts Tagesablauf richten müssen. Meine Kindheit ist vorbei, ich werde eine erwachsene Frau sein mit all ihren Pflichten.
Ist das, was ich heute getan habe, richtig? Aber eigentlich ist doch nichts dabei … Ich habe einen Diener beauftragt, Duamutef eine Nachricht zu überbringen. Er ist zu den königlichen Pferdeställen gelaufen, hat einen Moment abgewartet, in dem Duamutef allein war, und ihm dann ausgerichtet, dass ich ihn treffen möchte. Wir haben uns für morgen Abend am Nil verabredet, dort, wo die wilden Schwäne ihren Badeplatz haben. Ich weiß nicht, warum ich Selket nicht eingeweiht habe. Sie hätte ihrem Bruder ja auch die Nachricht ausrichten können … Wahrscheinlich will ich nicht, dass sie über unser Treffen spekuliert und irgendetwas hineininterpretiert, was gar nicht da ist. Ist es denn so ungewöhnlich, dass ich Duamutef noch einmal sehen will? Er ist wie ein Bruder für mich!
Letzte Nacht habe ich geträumt, dass der Pharao zurückkommt. Ich stand mit vielen anderen Menschen an der Straße und wartete auf den Prunkzug. Endlich kam der goldene Streitwagen, der von vier weißen Pferden gezogen wurde. Tut stand aufrecht in seinem Wagen und lenkte die Pferde. Er trug die Krone Ober- und
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