Dem Pharao versprochen
Rücken schmerzt heute zu sehr, dass ich mich kaum bücken kann, um die Halme zu schneiden.«
»Machen wir gern«, sagte Selket sofort. Anchesenamun wusste, dass ihre Freundin es nicht übers Herz brachte, ein Tier leiden zu sehen.
»Seid willkommen in meiner Hütte und tretet ein.« Die Alte machte eine einladende Handbewegung.
Die Mädchen kamen der Aufforderung nach. Als Anchesenamun an der Frau vorbeiging, berührte diese sie am Arm.
»Ihr seid Schwestern, aber nicht blutsverwandt.«
»Stimmt«, sagte Anchesenamun überrascht und fragte sich, ob die Alte sie trotz des Schleiers erkannt hatte.
Im Innern der Hütte war es stickig und schmutzig. Sie bestand nur aus einem einzigen Raum mit wenigen Möbeln. Durch eine Öffnung unter dem Dach flogen Schwalben ein und aus. Anchesenamun hörte leises Gepiepse. Offenbar befand sich unter der Decke ein Nest mit Jungvögeln.
Die Alte griff nach zwei abgewetzten Kissen und forderte die Mädchen auf, darauf Platz zu nehmen. Während Anchesenamun und Selket sich auf den Boden hockten, humpelte die Alte geschäftig im Raum umher. Sie entzündete ein paar Öllampen und warf eine Handvoll getrockneter Kräuter ins Feuer. Der Raum füllte sich daraufhin mit beißendem Qualm, der in Nase und Lunge drang. Anchesenamun unterdrückte einen Hustenreiz.
Die Alte holte ein Säckchen aus schwarzem Leinen, zog sich einen Hocker herbei und wies Selket an, auf dem Boden zu ihren Füßen ein Tuch auszubreiten. Selket gehorchte.
»Ihr seid gekommen, um von mir zu hören, was euch in der kommenden Zeit widerfährt«, sagte die Alte mit krächzender Stimme. Sie griff in das Säckchen und holte eine Handvoll brauner Stücke heraus, die Anchesenamun im ersten Augenblick für Holz hielt. Erst eine Weile später begriff sie, dass es sich um kleine Tierknochen handelte.
Die Alte wog die Knochen kurz in der Hand, schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann warf sie die Knochen auf das Tuch vor sich.
Selket beugte sich neugierig nach vorne, aber sie war natürlich nicht bewandert in der Kunst des Knochenlesens, und die Anordnung der Gebeine sagte ihr gar nichts. Auch Anchesenamun starrte unschlüssig auf das Tuch.
Die Alte begann zu sprechen.
»Du«, sie deutete mit ihrem knotigen Zeigefinger auf Selket, »dein Schicksal ist es, deiner Milchschwester treu zu dienen bis an das Ende deiner Tage. Deine Freundschaft ist wahrhaftig, und du teilst mit deiner Milchschwester Schmerz und Freude. Du stehst ihr immer zur Seite und erhellst ihre Tage, selbst wenn sie noch so dunkel sind.«
Selket hörte gebannt zu.
»Und du«, jetzt zeigte der Finger der Alten auf Anchesenamun, »wirst glückliche Tage erleben und auch schlimme. Du wirst eine Frau sein, die die Männer begehren, aber der Weg zum Glück ist sehr weit. Du wirst dich in Geduld üben und manche Schwierigkeit überwinden müssen. Die Götter werden dich prüfen, und du wirst oftmals nicht wissen, welchen Weg du einschlagen sollst. Du wirst zweifeln, ob du deinem Herzen folgen oder dich auf deine Pflicht besinnen sollst. Du wirst Fragen haben, auf die dir die Götter keine Antwort geben – oder zumindest nicht gleich. An Geld wird es dir jedoch nie mangeln.«
Anchesenamun saß wie erstarrt und versuchte, sich alles zu merken, obwohl ihr einige Zweifel gekommen waren. Ob die Alte überhaupt die Gabe des Zweiten Gesichts hatte? Aber sie hatte Verschiedenes gesagt, das wahr war. Sie hatte gewusst, dass Anchesenamun und Selket Milchschwestern waren. Und dass Anchesenamun reich war …
Konnte man das nicht leicht an der Kleidung erkennen? Wer einen Blick dafür hatte, sah solche Dinge sofort. Das alles musste gar nichts heißen …
Die Alte presste die Hand ins Kreuz und stand mühsam auf. »Und nun schneidet ein wenig Gras für die Ziegen, wie ihr es mir versprochen habt.« Sie deutete auf eine verbeulte Sichel mit einem langen Holzgriff, die an der Wand hing.
»Vielen Dank für Eure Mühe«, sagte Selket, kam auf die Füße und nahm die Sichel von der Wand.
»Ich danke Euch auch«, sagte Anchesenamun. Als sie sah, dass Selket die letzte Muschelkette aus ihrem Korb holte und die Alte damit für ihre Dienste bezahlen wollte, streifte sie rasch einen dünnen Goldreif von ihrem Handgelenk und hielt ihn der Alten hin.
»Bitte, nehmt diesen Armreif als Zeichen unserer Dankbarkeit.«
Die Alte zögerte, doch dann griff sie danach. »Danke für deine großzügige Gabe, sie wird mir das Leben ein wenig erleichtern.«
Sie legte den
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