Dem Sieger eine Handvoll Erde
vorzuhaben.«
Die Gestalt in dem himmelblauen Overall, die auf die Boxen zuging, machte wirklich einen sehr entschlossenen Eindruck. Neubauer war hochgewachsen, hellblond – eine vollkommen nordische Erscheinung, obwohl er in Wirklichkeit Österreicher war. Er war die Nummer Eins des Cagliari-Teams – der Name Cagliari stand in großen Lettern auf seinem Overall –, und sein großes Können hatte ihn zum anerkannten Kronprinzen des Rennsports und zu Harlows unvermeidlichem Nachfolger gemacht. Wie Tracchia war er ein kühler reservierter Mann, der Dummköpfe auf den Tod nicht ausstehen konnte. Wie Tracchia hatte auch er nur einen sehr begrenzten Freundeskreis, und angesichts dieser Ähnlichkeit war es nicht verwunderlich, daß diese beiden Männer, die auf der Rennstrecke erbitterte Rivalen waren, im Privatleben eine enge Freundschaft verband.
An seinen zusammengepreßten Lippen und dem Glitzern in den hellblauen Augen konnte man auf den ersten Blick erkennen, daß Neubauer äußerst zornig war. Und es besserte seine Stimmung nicht gerade, daß MacAlpine einen Schritt vortrat und ihm mit seinem massigen Körper den Weg versperrte. Neubauer hatte keine andere Möglichkeit, als stehenzubleiben. Er war zwar groß, aber MacAlpine war noch ein gutes Stück größer. »Aus dem Weg!« zischte er MacAlpine durch die Zähne zu.
MacAlpine blickte ihn mit mildem Tadel an.
»Was sagten Sie?«
»Tut mir leid, Mr. MacAlpine. Wo ist der Schweinehund?«
»Ich nehme an, Sie meinen Harlow. Lassen Sie ihn in Ruhe. Er fühlt sich nicht gut.«
»Ach nein! Aber Jethou fühlt sich wohl, was? Es ist mir vollkommen egal, wie Harlow sich fühlt. Warum soll dieser Irre ungeschoren davonkommen? Er ist wirklich irre! Sie wissen das. Wir alle wissen es. Allein heute hat er mich zweimal von der Bahn gedrängt. Und es ist ein reiner Glücksfall, daß ich nicht auch mit meinem Wagen verbrannt bin. Ich warne Sie, Mr. MacAlpine. Ich werde eine Konferenz der G.P.D.A. einberufen und ihn auf Lebenszeit disqualifizieren lassen.«
»Sie sind ja wohl der letzte, der sich das leisten könnte, Willi.« MacAlpine legte Neubauer die Hände auf die Schultern. »Denken Sie doch mal nach: Wenn Harlow gehen muß, wer ist dann wohl der nächste Champion?«
Neubauer starrte ihn an. Sein wütender Gesichtsausdruck wich verwirrter Ungläubigkeit. Als er sprach, war seine Stimme zu einem kaum verständlichen Flüstern abgesunken. »Sie glauben, ich täte es deswegen, Mr. MacAlpine?«
»Nein, Willi, ich nicht. Ich will Ihnen nur klarmachen, daß die meisten anderen das denken würden.«
In der folgenden Pause verrauchte auch der Rest von Neubauers Zorn. Ganz ruhig sagte er: »Er ist ein Killer. Er wird wieder morden.«
Vorsichtig nahm er MacAlpines Hände von seinen Schultern, drehte sich um und ging davon. Dunnet sah ihm besorgt nach.
»Vielleicht hat er recht, James. Ja, ich weiß, daß er fünf Grand-Prix-Rennen hintereinander gewonnen hat, aber seit sein Bruder bei dem Rennen in Spanien ums Leben kam – na, du weißt es ja selbst.«
»Er hat fünf Grand-Prix-Siege in der Tasche, und du willst mir allen Ernstes erzählen, daß seine Nerven nicht mehr mitmachen?«
»Ich weiß nicht, ob es an den Nerven liegt. Ich weiß es einfach nicht. Aber eins weiß ich: daß der sicherste Fahrer, den die Welt je gesehen hat, so rücksichtslos und gefährlich geworden ist und von einem so selbstmörderischen Ehrgeiz zerfressen wird, daß die anderen Fahrer ihn regelrecht fürchten. Was sie betrifft, so überlassen sie ihm gern die Strecke. Sie wollen lieber am Leben bleiben, als mit ihm auch nur um einen Meter zu kämpfen. Und nur aus diesem Grund gewinnt er ein Rennen nach dem anderen.«
MacAlpine betrachtete Dunnet aufmerksam und schüttelte unbehaglich den Kopf. Er, MacAlpine, war der anerkannte Experte und nicht Dunnet; aber MacAlpine schätzte Dunnet außerordentlich und gab viel auf seine Meinung. Dunnet war ein ungewöhnlich schlauer, intelligenter und fähiger Mann, ein hochbegabter Journalist, der aufgrund der unbestreitbaren Tatsache, daß es nichts Langweiligeres auf der Welt gibt als Politik, von der politischen Berichterstattung auf Sportkommentare umgestiegen war. Es hatte ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet, seinen Scharfsinn und seine enorme Beobachtungsgabe, die ihm unter Politikern einen so fabelhaften Ruf eingebracht hatten, nun auf das Rennfahrermilieu zu übertragen. Als ständiger Korrespondent für eine englische
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