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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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spielte. Aus der Musik, die er spielte, hörte ich nicht nur ihn selbst. Es schien mir auch alles, was er spielte, unter sich verwandt zu sein, einen geheimen Zusammenhang zu haben. Alles, was er spielte, war gläubig, war hingegeben und fromm, aber nicht fromm wie die Kirchengänger und Pastoren, sondern fromm wie die Pilger und Bettler im Mittelalter, fromm mit rücksichtsloser Hingabe an ein Weltgefühl, das über allen Bekenntnissen stand. Die Meister vor Bach wurden fleißig gespielt, und alte Italiener. Und alle sagten dasselbe, alle sagten das, was auch der Musikant in der Seele hatte: Sehnsucht, innigstes Ergreifen der Welt und wildestes Sichwiederscheiden von ihr, brennendes Lauschen auf die eigene dunkle Seele, Rausch der Hingabe und tiefe Neugierde auf das Wunderbare.
    Als ich einmal den Orgelspieler nach seinem Weggang aus der Kirche heimlich verfolgte, sah ich ihn weit draußen am Rande der Stadt in eine kleine Schenke treten. Ich konnte nicht widerstehen und ging ihm nach. Zum erstenmal sah ich ihn hier deutlich. Er saß am Wirtstisch in einer Ecke der kleinen Stube, den schwarzen Filzhut auf dem Kopf, einen Schoppen Wein vor sich, und sein Gesicht war so, wie ich es erwartet hatte. Es war häßlich und etwas wild, suchend und verbohrt, eigensinnig und willensvoll, dabei um den Mund weich und kindlich. Das Männlicheund Starke saß alles in Augen und Stirn, der untere Teil des Gesichtes war zart und unfertig, unbeherrscht und zum Teil weichlich, das Kinn voll Unentschlossenheit stand knabenhaft da wie ein Widerspruch gegen Stirn und Blick. Lieb waren mir die dunkelbraunen Augen, voll Stolz und Feindlichkeit.
    Schweigend setzte ich mich ihm gegenüber, niemand war sonst in der Kneipe. Er blitzte mich an, als wolle er mich wegjagen. Ich hielt jedoch stand und sah ihn unentwegt an, bis er unwirsch brummte: »Was schauen Sie denn so verflucht scharf? Wollen Sie was von mir?«
    »Ich will nichts von Ihnen«, sagte ich. »Aber ich habe schon viel von Ihnen gehabt.«
    Er zog die Stirn zusammen.
    »So, sind Sie ein Musikschwärmer? Ich finde es ekelhaft, für Musik zu schwärmen.«
    Ich ließ mich nicht abschrecken.
    »Ich habe Ihnen schon oft zugehört, in der Kirche da draußen«, sagte ich. »Ich will Sie übrigens nicht belästigen. Ich dachte, ich würde bei Ihnen vielleicht etwas finden, etwas Besonderes, ich weiß nicht recht was. Aber hören Sie lieber gar nicht auf mich! Ich kann Ihnen ja in der Kirche zuhören.«
    »Ich schließe doch immer ab.«
    »Neulich haben Sie es vergessen, und ich saß drinnen. Sonst stehe ich draußen oder sitze auf dem Prellstein.«
    »So? Sie können ein andermal hereinkommen, es ist wärmer. Sie müssen dann bloß an die Tür klopfen. Aber kräftig, und nicht während ich spiele. Jetzt los – was wollten Sie sagen? Sie sind ein ganz junger Mann, wahrscheinlich ein Schüler oder Student. Sind Sie Musiker?«
    »Nein. Ich höre gern Musik, aber bloß solche, wie Sie spielen, ganz unbedingte Musik, solche, bei der man spürt, daß da ein Mensch an Himmel und Hölle rüttelt. Die Musik ist mir sehr lieb, ich glaube, weil sie so wenig moralisch ist. Alles andere ist moralisch, und ich suche etwas, was nicht so ist. Ich habe unter dem Moralischen immer bloß gelitten. Ich kann mich nicht gut ausdrücken. – Wissen Sie, daß es einen Gott geben muß, der zugleich Gott und Teufel ist? Es soll einen gegeben haben, ich hörte davon.«
    Der Musiker schob den breiten Hut etwas zurück und schütteltesich das dunkle Haar von der großen Stirn. Dabei sah er mich durchdringend an und neigte mir sein Gesicht über den Tisch entgegen.
    Leise und gespannt fragte er: »Wie heißt der Gott, von dem Sie das sagen?«
    »Ich weiß leider fast nichts von ihm, eigentlich bloß den Namen. Er heißt Abraxas.«
    Der Musikant blickte wie mißtrauisch um sich, als könnte uns jemand belauschen. Dann rückte er nahe zu mir und sagte flüsternd: »Ich habe es mir gedacht. Wer sind Sie?«
    »Ich bin ein Schüler vom Gymnasium.«
    »Woher wissen Sie von Abraxas?«
    »Durch Zufall.«
    Er hieb auf den Tisch, daß sein Weinglas überlief.
    »Zufall! Reden Sie keinen Sch...dreck, junger Mensch! Von Abraxas weiß man nicht durch Zufall, das merken Sie sich. Ich werde Ihnen noch mehr von ihm sagen. Ich weiß ein wenig von ihm.«
    Er schwieg und rückte seinen Stuhl zurück. Als ich ihn voll Erwartung ansah, schnitt er eine Grimasse.
    »Nicht hier! Ein andermal. – Da nehmen Sie!«
    Dabei griff er in die Tasche

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