Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
Gemeinwohl, Freiheit und Tugend
Bei diesen Fragen geht es nicht nur darum, wie wir miteinander umgehen sollten. Es geht auch darum, wie das Recht lauten und wie die Gesellschaft organisiert werden sollte. Es geht um Fragen der Gerechtigkeit. Um sie beantworten zu können, müssen wir herausfinden, was Gerechtigkeit bedeutet. Eigentlich haben wir damit schon begonnen. Sieht man sich die Diskussion über Preiswucher genauer an, wird man bemerken, dass die Argumente für und gegen Gesetze zum Preiswucher sich um drei Leitgedanken drehen: die Mehrung des Gemeinwohls, die Achtung vor der Freiheit und die Förderung der menschlichen Tugenden. Jede dieser Vorstellungen verweist auf einen jeweils anderen Ansatz, über Gerechtigkeit nachzudenken.
Das Standardargument für freie Märkte beruht auf zwei Behauptungen – eine betrifft das Gemeinwohl, die andere die Freiheit. Die erste Behauptung lautet: Märkte fördern das Wohl einer Gesellschaft insgesamt, weil sie Menschen Anreize bieten, hart zu arbeiten und damit die Güter bereitzustellen, die andere Menschen sich wünschen. Märkte mehren den Wohlstand und dienen damit dem Gemeinwohl. Die zweite Behauptung: Märkte respektieren die Freiheit des Einzelnen; anstatt Gütern und Leistungen einen bestimmten Wert aufzuzwingen, lassen Märkte die Menschen selbst entscheiden, welchen Wert sie den Dingen beimessen wollen, die sie tauschen.
Und wie halten es die Befürworter der Gesetze gegen Preiswucher? Erstens bringen sie vor, dem Gemeinwohl der Gesellschaft sei durch die in schwierigen Zeiten überhöhten Preise nicht wirklich gedient. Selbst wenn höhere Preise für eine größere Gütermenge sorgten, müsse das gegen die Last abgewogen werden, die man den Armen aufbürde. Für Begüterte mag es so gesehen ärgerlich sein, die aufgrund des Sturms aufgeblähten Preise für den Liter Benzin oder das Hotelzimmer zu bezahlen. Für Menschen mit bescheidenen Mitteln stellen diese Preise jedoch eine wirkliche Härte dar, die sie sogar dazu bringen könnte, lieber inmitten der Katastrophe auszuharren, als sich in Sicherheit zu bringen. Jede Bewertung des Gemeinwohls müsse den Schmerz und das Leid jener einbeziehen, die in einem Notfall ihre Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigen könnten, weil das zu viel kostet.
Zweitens, so behaupten die Befürworter der Gesetze gegen Preiswucher, sei der freie Markt unter bestimmten Umständen nicht wirklich frei. Wenn jemand mit seiner Familie vor einem Hurrikan flieht, so argumentiert Crist, dann ist der überhöhte Preis für Benzin oder Unterkunft nicht wirklich Ausdruck eines freien Austauschs. Es handelt sich eher um Erpressung. Um entscheiden zu können, ob Gesetze gegen Preiswucher gerechtfertigt sind, müssen wir also diese unterschiedlichen Vorstellungen von Gemeinwohl und Freiheit gegeneinander abwägen.
Doch es gibt noch ein weiteres Argument. Ein großer Teil der öffentlichen Unterstützung für Gesetze gegen Preiswucher speist sich aus einer tiefer liegenden Quelle. Die Menschen empören sich über »Geier«, die die verzweifelte Lage anderer ausnutzen; sie wollen sie bestraft sehen, nicht belohnt. Derlei Empfindungen werden oft als atavistische Gefühle abgetan, die in der Politik oder in den Gesetzen nichts zu suchen hätten. In Jacobis Worten: »Floridas Wiederaufbau wird nicht beschleunigt, indem man die Verkäufer verteufelt.« 10
Doch die Empörung über Preistreiber ist mehr als unbedachter Ärger. Sie verweist auf eine durchaus ernstzunehmende Argumentation. Empörung ist jener besondere Zorn, den man empfindet, wenn man glaubt, jemand bekomme etwas, was ihm nicht zustehe. Empörung dieser Art ist Zorn über Ungerechtigkeit.
Als Crist davon sprach, welche »Gier in der Seele mancher Leute wohnen muss, dass sie bereit sind, von Menschen zu profitieren, die unter den Folgen eines Hurrikans leiden«, rührte er an die moralische Quelle dieser Empörung. Zumindest implizit gab er seinen Lesern zu verstehen: Gier ist ein Laster, eine schlechte Lebensart, besonders dann, wenn die Menschen dadurch blind für die Leiden anderer werden. Und sie ist mehr als ein individuelles Laster – sie widerspricht den Werten der Zivilgesellschaft. In stürmischen Zeiten rückt eine gute Gesellschaft zusammen. Anstatt nach maximalen Vorteilen zu streben, geben die Menschen aufeinander acht. Eine Gesellschaft, in der Menschen während einer Krise ihre Nachbarn ausbeuten, ist keine gute Gesellschaft. Deshalb ist exzessive Gier ein Laster,
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