Den ersten Stein
so war eine ganze Branche entstanden, die von rachsüchtigen Frauen dazu benutzt wurde, die Oberhand zu gewinnen. Die meisten
Mädchen waren jung – der Hauch von gestohlener Unschuld war eine tödlicheWaffe in der Hand eines Anwalts – und nicht sehr intelligent. Sie glaubten, um einen Mann zu verführen, müsse man einfach
nur einen kurzen Rock anziehen und sich aufreizend vorbeugen. Das funktionierte bei verzweifelten und dummen Männern, aber
diese direkte Masche war zu offensichtlich, um einen intelligenten Menschen in die Falle zu locken.
Iris spielte das Spiel auf einem höheren Niveau. Nach Marks Gesicht zu schließen, machte sie interessante Konversation und
blieb dabei wahrscheinlich bei dem Thema, das ihn am stärksten fesselte: ihm selbst. Iris lachte über seine Scherze und lächelte
über Sprüche, die er seit seiner Collegezeit machte. Schon strömte bei ihm das Blut aus dem Kopf in die tiefer liegenden Körperregionen.
Mark war so sehr damit beschäftigt, sich attraktiv, klug und mächtig zu fühlen, dass er gar nicht bemerkte, wie sie ihn um
den Finger wickelte. Nach zwanzig Minuten ließ Iris die Hand auf dem Weg zu ihrem Glas wie zufällig über seinen Unterarm streifen
und zog die Schlinge zu.
Ich simste Iris, dass ich sie draußen treffen würde. Sie nahm das als Vorwand, um zu gehen, und tat seinen Widerspruch mit
einer Handbewegung ab. Er musste sich damit begnügen, ihr seine Karte zu geben, das Einzige, was sie austauschten. Ich ließ
sie als Erste hinausgehen, falls er gegen alle Wahrscheinlichkeit versuchen sollte, ihr zu folgen. Mark rührte sich nicht
von seinem Hocker, sondern starrte einfach nur auf den Whisky in seinem Glas und gab sich unrealistischen Träumen hin.
»Wo waren Sie?«, fragte sie, als ich sie an der Ecke traf.
»Ich habe die Sicherheitskameras der Bar dazu benutzt, den Schutzengel zu spielen«, antwortete ich. »Haben Sie bekommen, was
Sie wollten?«
Iris schob die Lippen vor. »Er ist kein rechtschaffener Mensch, aber seine Dummheit beschützt seine Seele.«
»Vielleicht taucht Junior ja doch noch auf.«
»Dafür ist es zu spät«, erklärte sie. »Der wäre inzwischen schon wieder weiter. Machen wir eine Pause.« Sie konnte sehen,
dass ich nicht überzeugt war. »Wenn Sie mir nicht zutrauen, meinen Job richtig zu machen, können wir uns jetzt ebenso gut
trennen.«
Ich dachte darüber nach. Wenn sie wirklich glaubte, dass Thorpe der Schuldige war, hatte sie nicht viel davon, mich herumzuführen,
es sei denn, sie hatte noch etwas anderes im Sinn. Sie sah, wie die Zahnrädchen in meinem Kopf sich drehten, und lächelte
ihr manipulatives Lächeln. Ihren Augen sah ich an, dass es nicht so gemeint war; es hatte alle Gesichtsausdrücke ersetzt,
die sie früher einmal besessen hatte. »In dem Tempo, in dem ich hier Vertrauen verschenke, gebe ich Ihnen noch vor dem Wochenende
einen Blankoscheck.«
»Na und«, gab sie zurück. »Ihre Schecks platzen doch sowieso.«
Zwei Kreuzungen weiter war eine Würstchenbude an der Ecke. Sie bestellte eine Riesenwurst mit allem Drum und Dran und ein
Mineralwasser.
»Das ist Ihre Pause?«, fragte ich.
»Was haben Sie gegen Würstchen?«
»Nichts, ich setze mich nur gern beim Essen.«
»Es ist wohl nicht sehr damenhaft«, meinte Iris.
Dem Vergnügen in ihren Augen, als der Verkäufer ihr die Wurst reichte, sah ich an, dass ihr das vollkommen egal war.
»Wenn Sie es machen, hat es Klasse«, sagte ich. Ihre Haltung, diese Gewissheit, sich nichts zu vergeben zu haben, war eine
angenehme Abwechslung, und ich konnte nicht anders, als das zu bewundern. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass Sie der Typ Frau
sind, der an Straßenecken herumhängt.«
Iris fand das wesentlich komischer, als ich erwartet hatte.
Ein Polizist blieb neben uns stehen. »’n Abend, Leute«, sagte er. »Kann ich bitte Ihre Ausweise sehen?«
Ich reichte ihm meinen, und er gab ihn nach einem kurzen Blick darauf zurück.
Iris zeigte dem Beamten ihren Ausweis, ließ ihn mich aber nicht sehen. »Ich will nicht, dass er mein wahres Alter erfährt.«
Der Beamte lachte, bedankte sich im Gehen und nahm seine Runde wieder auf.
»Und was passiert jetzt mit dem Kerl, dem Sie den Kopf verdreht haben?«, fragte ich.
»Sie meinen Stanley?«
Ich nickte, sein Name weckte in mir wieder einen Hauch von Mitgefühl.
»Wahrscheinlich gar nichts.«
Sie schien nicht die Absicht zu haben, mehr zu erzählen. Ich hatte keinen guten
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