Den ersten Stein
Rumgevögelt?«
»Sie ist nicht meine Lady.«
»Jetzt nicht mehr«, erwiderte er.
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob die selbstzufriedene Genugtuung in seinem Gesicht komisch oder abstoßend war.
»Was hast du dir bloß dabei gedacht, einen solchen Körper wegzuwerfen.« Er zeichnete mit den Händen die Umrisse einer Sanduhr
in die Luft.
Vielleicht war er ja ein Schauspieler, der eine Rolle à la Method Acting einstudierte, denn so plump konnte man doch gar nicht
sein. »Erwartet deine Frau dich nicht bald zu Hause zurück?«, fragte ich. Das war die einzige Art, wie ich ihn warnen konnte,
ohne Iris’ Deckung auffliegen zu lassen. Die Worte mochten trotz des vielen Alkohols ihren Weg dorthin finden, wo sein Gewissen
sich versteckte.
»Mach dir keine Sorgen um die«, gab er zurück. »Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, oder?« Lächelnd versuchte er, mich
in eine Männerverschwörung hineinzuziehen.
Ich lächelte zurück, und wie der Himmel nach einem Unwetter hellte sich mein Gewissen auf. »Das wird dein Ende«, sagte ich
und ließ ihn mit seinem Grinsen zurück.
Neben den Toiletten befand sich eine Tür, die auf eine Gasse hinausführte. Man hatte sie für Raucher offen gelassen. Ich ging
nach draußen und lehnte mich gegen die Backsteinmauer. So gab ich Iris und Mark Zeit, sich kennenzulernen, während ich so
tat, als verdaute ich meine Beschämung. In meiner Brusttasche steckte eine Zigarette, die ich Benny geklaut hatte, als er
nicht hinschaute. Ich hatte gar nicht vorgehabt, sie zu rauchen; ich klaute sie ihm schon seit unseren Armeetagen, weil ihn
das in den Wahnsinn trieb, und diese Gewohnheit ließ sich unmöglich abstellen. Ich steckte sie mit Hilfe eines halb abgebrannten
Streichholzheftchens an, das ich zwischen den weggeworfenen Kippen gefunden hatte, und ließ sie zum Schein zwischen den Fingern
brennen.
Ich hatte White am Vormittag die Nachricht auf dem Handy hinterlassen, dass ich eine Weile untertauchen werde, um einer Spur
zu folgen. Er würde wütend sein, aber nachdem er mich über so viele wichtige Dinge im Dunkeln gelassen hatte, hatte er nichts
Besseres verdient. In der Nachricht hatte ich behauptet, bei dem toten Briefkasten sei niemand aufgetaucht, und ihm zu verstehen
gegeben, Schuld daran seien seine Agenten und ihr unübersehbares Outfit. White würde annehmen, mein Schweigen sei meinem Ärger
über die Beschatter zuzuschreiben, und mir war das nur recht. Es kam selten vor, dass ich mir einen Wutanfall leisten konnte,
der auch noch nützlich war.
Ein Hilfskellner kam aus der Seitentür und warf ein paar Mülltüten in den Container. Er schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln.
»Sie haben alles gesehen, oder?«
Er deutete achselzuckend ein Ja an. Über der Tür befand sich eine Kamera, die die Gasse überwachte. Das brachte mich auf eine
Idee, wie ich die Rolle des sitzen gelassenen Lovers zu meinem Vorteil ausnutzen konnte.
»In der Bar gibt es Kameras, oder?«
Er ließ sich so viel Zeit mit der Antwort, dass ich schon dachte, er sei noch nicht lange genug im Land, um Englisch zu verstehen.
»Klar.«
»Wer überwacht die?«
»Keiner. Da sind einfach nur ein Haufen Bildschirme in einem kleinen Raum.«
»Denken Sie, ich könnte da reinkommen?« Er war misstrauisch. »Auch wenn sie mich verabscheut, ich mache mir trotzdem Sorgen
um sie.«
Er zweifelte an meiner Ehrlichkeit, bis ich ihm zwanzig Dollar in die Hand drückte. Ob ich nun besorgt war oder einfach nur
eifersüchtig, mein Geld bekam dadurch keine andere Farbe. Es war nicht viel, aber genug für einen Hilfskellner, dessen Papiere
vielleicht nicht in Ordnung waren.
Mit dem verstohlenen Blick eines Amateur-Einbrechers führte er mich in ein Hinterzimmer. Er machte die Tür auf, murmelte etwas
von wegen, er habe mit der Sache nichts zu tun, und ging in die Küche zurück. Eine Kamera deckte den vorderen Eingang ab,
drei überwachten die Tische und zwei weitere waren für die Theke bestimmt. Ich würde Junior sehen, falls er auftauchte, und
ich konnte ein Auge auf Iris haben.
Sie war bereits bei der Arbeit. Mark saß auf dem Stuhl, den vor ein paar Minuten noch ich angewärmt hatte. Die Kameras liefen
ohne Tonspur, doch die brauchte ich auch nicht. Ich hatte genug Goldgräberinnen und professionelle Verführerinnen gesehen,
die an Scheidungsfällen arbeiteten. Wenn es um Ehebruch ging, sahen die Scheidungsgesetze extrem empfindliche Strafen vor,
und
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