Den Jakobsweg erfahren - Drei Freunde mit dem Fahrrad von Lingen-Biene nach Santiago de Compostella (German Edition)
sie ihre Männer im nächsten Jahr auf Pilgerfahrt schicken, dann hätten sie auch mal ihre Ruhe.
Wenn die wüssten, wie hart und entbehrungsreich das wahre, sprich unser Pilgerleben ist. So eine kurze Momentaufnahme mit einem Bier ist doch nicht aussagekräftig. Uns hält es nicht länger. Wir verabschieden uns und schwingen uns auf die Räder. Unser Radpilgerführer verkündet, dass es nun nur noch bergrunter gehen soll. Dafür ist der Weg, der als Pilgerweg ausgewiesen ist auffallend oft mit heftigen Steigungen versehen. Die Karte taugt nicht. Die wird am Ende der Welt, in Finisterre, wo wir anschließend noch hinfahren wollen, verbrannt. Hundertprozentig.
Die Strecke führt am Flughafen von Santiago vorbei. Immer wieder hoch und runter. An einem Stand mache ich den Vorschlag, dass wir uns dort einen Schokoriegel holen sollen. Das führt zu Missverständnissen, denn weil kein Echo kommt, fahre ich weiter. Später sagt Timo, dass er gerne einen gegessen hätte. Ich hätte aber nicht angehalten, also sei er davon ausgegangen, dass es keinen (aus der Gemeinschaftskasse) gibt. Missverständnisse.
An dem Aussichtspunkt Monte de Gozo, dem Berg der Freude, machen wir Halt. In Pilgerberichten kann man lesen, dass man bereits vor dem Erreichen der Stadt die Kathedrale von Santiago von Weitem sehen kann. Das soll von hier aus möglich sein. Uns wird das unerklärlichen Gründen nicht zuteil, obwohl wir auf dem ausgewiesenen Pilgerweg unterwegs sind. Wie ich später im Onlinelexikon Wikipedia lese, soll die Aussicht jedoch durch städtebauliche und vegetative Einflüsse so stark beeinträchtigt sein, dass man ein Fernglas benutzen muss, um die Kathedrale überhaupt zu sehen. So bleibt uns die Aussicht von hier, zumindest bewusst, vorenthalten.
Timo fährt hoch, macht Fotos und ich kaufe am Kiosk drei Milka-Schokoriegel. Die sind genau richtig, um sich wieder zu versöhnen. Dann geht es weiter auf und ab, ab und auf. Ich frage mich, wann auf dieser Pilgerfahrt die letzte Steigung kommen mag, wann endlich!
Wir erreichen das Zentrum. Der Pilgerweg führt durch eine Einbahnstraße, darum müssen wir absteigen und schieben. Das ist nicht weiter störend, denn so hat man Zeit zu realisieren, dass wir angekommen sind, vielen Unkenrufe zum Trotze.
Und schließlich sehen wir in Verlängerung einer Häuserreihe die Kathedrale. Ich habe Berichte gelesen, dass Pilger bei diesem Anblick in einem Zustand höchster Euphorie versetzt worden wären. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich denke eher daran, was wir morgen machen, wenn wir nicht Radfahren. Ein Ruhetag, wie gehen wir damit um?
Als wir das Hauptportal erreichen will Siggi Fahrradwache halten. Von einer Frau werden wir direkt angesprochen, ob wir ein Zimmer suchen. Wir zeigen uns interessiert und sagen ihr, dass wir aber erst in die Kathedrale wollen. Timo und ich gehen mit den Pilgerpässen hinein, um einen Stempel zu holen. Drinnen erklärt man uns, dass wir den in der Officina de Pellegrino (Pilgerbüro) bekommen. Also sehen wir uns zunächst in der Kathedrale um. Ohne das ich es wirklich kapiere, stehe ich plötzlich in einem Gewölbe vor dem silbernen Sarkophag des Heiligen Jakobus. Das ist ein Anblick, der mich wirklich berührt. Obwohl ich mir sicher bin, dass hier wohl mit ziemlicher Sicherheit nicht der heilige Jakobus liegt, fällt mir das Atmen schwer. Ich halte einen Moment inne und mache dann den Platz für andere Pilger frei, die diesem Anblick auch entgegenfiebern.
Durch einen anderen Zugang kommen wir aus der Kirche heraus. Nachdem wir uns orientiert haben, beschließen wir, nicht sofort zu Siggi zurückzugehen, sondern zunächst das Pilgerbüro zu suchen. Danach erst wollen wir zur Kathedrale gehen, um Siggi zu holen. Wir fragen uns durch und finden das Büro. Hier ist überschaubarer Andrang. So holen wir unseren wartenden Pilgerbruder, um wieder zum Büro zu gehen. In dem Moment, als wir losgehen, werden wir von einem älteren Herrn angesprochen. Er will uns auch ein Zimmer vermieten. Sein Zimmer ist zwar etwas teurer als das der Dame vorhin, aber wir machen den Deal mit ihm fest. Wir wollen nur vorher zum Pilgerbüro. Der Herr folgt uns vorsichtshalber. Dort angekommen, treffen wir Frans, den niederländischen Radpilger und verabreden, um 19:30 Uhr zusammen zu essen. Wir gehen die Wendeltreppe mit unseren Pässen hoch, beantworten die Fragen der Beamten und bekommen schließlich die begehrte Urkunde. Wir liegen uns in den Armen, danken und
Weitere Kostenlose Bücher