Den letzten Abschied selbst gestalten
Thema zu verletzen oder zu überfordern, weil der Tod über Jahrzehnte einfach aus dem Leben ausgeklammert wurde.«
»Man muss die Verschiedenheit der Leute achten« Valerija Schmitz, Städtischer Bestattungsdienst Augsburg
»Ich bin jetzt seit 31 Jahren im Dienst. Wir hören oft, dass uns die Angehörigen vor allem deshalb rufen, weil in unserem Städtischen Bestattungsdienst nur Frauen arbeiten. Seit einigen Jahren beobachten wir den Trend, dass die Toten ein bisschen länger zu Hause gelassen werden. In Kliniken und Altenheimen ist das nicht so leicht möglich, dort heißt es nach dem Arztbesuch meist, wir brauchen den Platz, wir haben kein Zimmer mehr frei.
Ich komme immer zusammen mit einer Helferin zu den Menschen nach Hause. Ich bespreche mit ihnen die Formalitäten und biete ihnen an, den Verstorbenen gemeinsam zu waschen und anzuziehen. Aber die meisten wollen nicht dabei sein, sie haben Angst, dem Toten weh zu tun. Es gibt auch einige, die es nicht wagen, sich am offenen Sarg zu verabschieden. Sie sagen, ich träume dann davon. Manche übertragen ihre Ängste auch auf die Kinder, obwohl die viel natürlicher damit umgehen. Ich frage die Kinder oft selbst, ob sie die Oma oder den Onkel noch mal sehen wollen, und ob sie ihnen etwas malen oder ein kleines Geschenk in den Sarg legen wollen. Ansonsten ermuntere ich die Familie, die Lieblingskleidung des Verstorbenen, vielleicht in einer schönen Farbe, herauszusuchen. Das ist viel hübscher als so ein fester Anzug.
In jedem Fall sollte man die Verschiedenheit der Leute achten und sie nicht zu einer offenen Aufbahrung drängen. Jeder Tote ist anders und gerade krebskranke Menschen zerfallen nach dem Tod sehr schnell. Die Haut kann dünn wie Pergament sein und wird oft ganz blau. Wenn die Hinterbliebenen den Toten noch zu Hause behalten wollen, vereinbare ich mit ihnen, dass sie mich jederzeit rufen können, wenn es ihnen doch zu viel wird oder wenn ihnen der Geruch zu schaffen macht. Man muss ja nicht krampfhaft daran festhalten.«
»Totenfrauen als Gegenpol zu den Hebammen« Bettina Volk, Anthropologin, Kassel
»In alten Quellen tauchen immer wieder Totenfrauen auf. Sie waren für das Waschen und Herrichten der Leiche zuständig. Man sah sie als Spiegelbild zum Hebammenberuf. Die eine hilft den Menschen auf die Welt, die andere geleitet sie wieder hinaus. Natürlich gibt es heute nicht mehr so viele, aber ich habe für meine Forschungsarbeit doch mit 32 Frauen zwischen 30 und 70 Jahren sprechen können. Diese Toten- oder Leichenfrauen werden zum Teil von der Gemeinde bestellt oder arbeiten selbständig mit einem oder mehreren Bestattungs-unternehmen zusammen. Sie richten die Toten her, waschen, kämmen, rasieren und kleiden sie. Zum Teil erledigen sie auch die Behördengänge. Sie sind auf unterschiedlichsten Wegen zu diesem Beruf gekommen, manchmal haben sie die Arbeit auch von ihren Müttern übernommen. Manche kümmern sich nur um Todesfälle zu Hause, andere arbeiten fest in einer Klinik.
Viele von ihnen kommen aus der Altenpflege und haben Erfahrung und viel Geduld mit einem störrischen Körper. Viele behandeln die Toten, als wären sie noch lebendig. Sie sprechen mit ihnen und bitten die Angehörigen um deren eigene Seife, das eigene Handtuch. Mehrere Totenfrauen erklärten mir, dass ein toter Mensch noch Bedürfnisse habe, noch etwas fühle. Sie treten dem Verstorbenen ganz offen entgegen und scheinen mit ihm in einem Dialog zu stehen. So sagte eine etwa, ›ich fühle, dass Ihr Mann diese Kleidung gern anziehen würde‹. Die Totenfrauen lehnen das Schminken und jegliche Veränderung der Toten in der Regel ab und legen eher einen Verband, wenn es etwas zu verdecken gibt.«
»Abschied zu Hause statt im Kühlraum« Fanny, 86 Jahre
»Mein Vater ist 1961 zu Haus gestorben. Erst hat ihn die Totenfrau aus dem Dorf zusammen mit meiner Mutter gewaschen und ihm ein weißes Nachthemd angezogen, dann haben wir das Bett ins Wohnzimmer getragen und aufgebockt. Weil Sommer war, hatten die Nachbarn schon große Stücke Eis besorgt, das dann von Laken verdeckt in einer Wanne unter dem Bett stand. Abends kamen die Verwandten und Nachbarn und hielten die Totenwache. Es wurde gebetet und über den Toten geredet. Nach drei Tagen war der Trauergottesdienst. Erst da hat der Schreiner den Sarg gebracht, meinen Vater hineingelegt und auf einem Anhänger in die Kirche gebracht. Nach der Trauermesse läutete die Totenglocke und wir gingen alle hinter dem Sarg her hinaus
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