Den letzten Abschied selbst gestalten
»Verfall der Bestattungskultur« und sieht sich nicht in der Lage, eine Beerdigung um 17 Uhr oder am Samstag zu ermöglichen. Stattdessen legt sie weiterhin Trauerfeiern im 30-Minuten-Takt fest. Wer solche Fließbandbestattungen nicht möchte, muss sich eine Doppelzeit erkaufen.
Viele Menschen, die schon einmal ein Begräbnis ausrichten mussten oder als Gast dabei waren, sind aus Erfahrung klug geworden und lassen sich nichts mehr aus der Hand nehmen. Sie erzählen in diesem Buch, wie sie sich ganz in Ruhe von ihrer Mutter verabschiedet haben, den Sarg des Mannes bemalten, selbst eine Rede auf den Opa hielten, die Trauergäste mit einem Kerzenritual eingebunden haben. Sie wechseln den Bestatter, wenn der behauptet, im Zusammenhang mit dem Toten müsse etwas »unverzüglich / umgehend / unbedingt« geschehen und all die Mythen seiner Branche mit dem »pietätvollen Umgang mit Verstorbenen« begründet. Sie verlassen sich auch nicht darauf, dass ihnen die Bestatter bei der Trauerfeier und Beerdigung zur Seite stehen. Denn die schicken oft einfach ein Fax an die Friedhofsverwaltung oder das Krematorium und haken auf einer Liste nur »Musik«, »Kerzen« und »Blumen« ab. Damit überlassen sie die trauernden Angehörigen wildfremden Mitarbeitern, die mitunter sehr bemüht sind, aber doch auch öfter durch raue Umgangsformen auffallen.
Menschen, die es gewohnt sind, Dinge in Frage zu stellen, suchen auch nach neuen Bestattungsmöglichkeiten. Sie wollen kein Einzelgrab mehr, das dann dreißig Jahre lang gepflegt werden müsste, sondern mit ihresgleichen zusammenbleiben. Sie entscheiden sich für ein Gemeinschaftsgrab unter Rosen oder kaufen sich einen Baum im Friedpark. Viele sehen auch nicht ein, warum in Deutschland die Asche stets auf einem Friedhof beigesetzt werden muss. Denn dort liegt sie zwanzig Jahre, eingesperrt in Aschenkapsel und Überurne, um nach Ablauf der Ruhefrist in einem Massengrab zusammengeschüttet oder ein weiteres Mal verbrannt zu werden. Da holen manche die Asche ihrer Toten lieber mit einem Trick aus dem Ausland zurück oder tauschen sie heimlich auf dem Friedhof aus.
Bei der Überarbeitung der deutschen Friedhofsgesetze war die Diskussion zuletzt stark vom Friedhofszwang für die Asche bestimmt. Angehörige sollten sie auf Wunsch mit nach Hause nehmen können – überall in Europa eine Selbstverständlichkeit, bei uns von den Lobbyisten erfolgreich abgeschmettert. Verschlafen hat man dabei den Umweltgedanken, eigentlich doch ein ureigenes deutsches Anliegen. So behindern Eichensärge und kunststoffhaltige Kleidung den Verwesungsprozess, liegen unter der Erde zig Millionen Urnen und Sarggriffe aus unverrottbaren Materialien. Die sollten stattdessen biologisch abbaubar sein und Aschenkapseln könnten auf Wunsch vor der Beisetzung entfernt werden.
Es sind die Vertreter der freien Berufe, begleitet von Vordenke-rinnen und scheuklappenfreien Fachleuten, die Bewegung in die Bestattungsszene bringen und den Markt mit individuellen Angeboten bereichern. Über solche engagierten Menschen, ihre Ideen und mitunter wunderbare Eigenwilligkeit wird hier berichtet. Mobile Bestatterinnen fahren durchs ganze Land, um den »Übergang« eines Menschen sorgsam zu begleiten. Ein Bestatter rät Angehörigen ganz offen, sich nicht um Genehmigun-gen zu kümmern. »Gestaltet den Abschied so wie ihr wollt.« Ein innovativer Friedhofsleiter stellt mit einem Info-Center und »Lebensgarten« alte Sichtweisen auf den Kopf und verlangt von den Behörden, Friedhöfe dem Kulturbereich zuzuordnen. Tolerante Pfarrer begleiten auf Wunsch gern Nichtgläubige auf ihrem letzten Weg, christliche Theologen wandeln leere Kirchen in kunstvolle Urnenfriedhöfe um und setzen damit einen Akzent gegen die zunehmende anonyme Bestattung. Eine Trauerrednerin begleitet Familien während des ganzen Abschiedsprozesses und verhindert dabei so manche Panne anderer Beteiligter.
Die Schwulen waren die ersten, die sich gegen die konventio-nelle Bestattungsszene auflehnten. Sie lebten immer schon in ihrer eigenen Welt und wollten die auch beim Abschied ihrer Freunde abgebildet sehen. Sie vor allem kreierten mit den ersten bunten Beerdigungen eine neue Bestattungskultur für ihre Aidstoten. Auch die Hospizbewegung setzt sich nicht nur für einen guten Umgang mit den Sterbenden ein, sondern fordert auch ihre würdevolle Behandlung nach dem Tod und die Möglichkeit, sich von ihnen am offenen Sarg zu verabschieden.
In diesem Buch kommen viele
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