Den Tod vor Augen - Numbers 2
da. Er kann es nicht glauben. Er muss es überprüfen.
Dann Schritte und Stille.
Es hat geklappt. Scheiße verdammt, es hat geklappt.
Ich drücke die Knie noch fester an mich und wiege meinen Körper von einer Seite zur andern. Ich möchte herausschreien, brüllen, tanzen, aber ich darf die Stille nicht zerstören. Ich darf die anderen nicht wecken, Marty und Luke im Nebenzimmer, Mum weiter hinten den Flur entlang.
Ich sollte jetzt schlafen. Es ist sicher, zu schlafen. Ich lege mich hin und lasse die Beine unter die Bettdecke gleiten. Ich bin müde, doch ich kann nicht einschlafen; ich liege eine Ewigkeit wach, triumphierend und ängstlich zugleich. Ich habe eine Schlacht gewonnen, aber der Krieg ist noch nicht vorbei. Regen trommelt gegen die Fensterscheiben.
Ich sehne mich nach Schlaf, acht Stunden Leere, doch als ich wegdrifte, finde ich keine Ruhe. Ich bin zurück in dem Albtraum, der Nacht für Nacht auf mich wartet.
Die Flammen sind orange.
Ich werde lebendig verbrannt. Ich bin gefangen, von Trümmern umschlossen.
Die Flammen sind gelb.
Das Baby schreit. Wir werden hier sterben, ich und das Baby. Der Junge mit dem vernarbten Gesicht ist auch da. Er ist selbst Feuer und Flamme, vernarbt, verbrannt, eine schwarze Gestalt in der dröhnenden, knackenden, Funken sprühenden Hitze.
Die Flammen sind weiß.
Und er packt das Baby, mein Baby, geht fort, wird von den Flammen verschlungen.
Das Zimmer ist immer noch dunkel, als ich mich zwinge, wach zu werden. Der Rücken meines T-Shirts und das Bettlaken sind schweißnass. In meinem Kopf ist ein Datum, neongrell blendet es meine Augen von innen. 1. Januar 2028. Davon habe ich noch nie zuvor geträumt. Das ist neu. Der Junge, er hat mir das Datum gebracht.
Der Junge aus der Schule ist der Junge aus meinem Albtraum. Er ist es. Ich weiß es genau. Er hat den Weg aus meinem Kopf ins Leben gefunden. Aber wie? Wie hat er das geschafft? Das ist doch Unsinn. Das ist nicht real. So etwas gibt es nicht.
Ich greife neben mich und schalte das Licht an. Ich kneife die Augen zusammen, bis sie sich dran gewöhnt haben, dann sehe ich den Stuhl, eingekeilt unter der Türklinke.
Natürlich ist so etwas möglich, denke ich müde. Es passieren ständig unglaubliche Dinge.
ADAM
Sie waren berühmt! Meine Mum und mein Dad. Ich hatte nicht gewusst, dass sie berühmt waren. 2010 wusste ein paar Wochen lang jeder im Land über sie Bescheid, hielt Ausschau nach ihnen. »Gesucht!« Wegen etwas, dass sie gar nicht getan hatten – einfach am falschen Ort, zur falschen Zeit. Und nur, weil Mum die Zahlen sah.
Oma hat ein paar Zeitungsausschnitte von damals aufgehoben – es läuft mir kalt den Rücken runter, als ich sie ansehe. Meine Mum und mein Dad – so jung, jünger als ich jetzt – starren mich von der Titelseite an. Sie waren noch Kinder, als sie mich bekamen. Das heißt, Dad hatte ja gar keine Ahnung von mir. Er starb, bevor Mum wusste, dass sie schwanger war.
Wenn ich das alles doch bloß früher gewusst hätte. Dann hätte ich Mum fragen, mit ihr drüber reden können … das Einzige, was sie mir zu den Zahlen gesagt hat, war, dass sie ein Geheimnis seien. Ich dürfe nie jemandem seine Zahl verraten. Und die Einzige, der ich sie je gesagt habe, war Mum, als ich ihr in der Schule dieses Bild zeigte, das ich gemalt hatte.
Verdammt, was musste das bei ihr ausgelöst haben? Wie müssen die letzten Jahre für sie gewesen sein, als sie ihre Zahl kannte? Einen Teil der Antwort kenne ich jetzt. Neben meinem Notizbuch liegt ein in der Mitte gefalteter Briefumschlag. Nachdem Oma Mums und Dads Geschichte zu Ende erzählt hat, gibt sie ihn mir.
»Sie wollte, dass du den hier bekommst. Wenn die Zeit reif ist. Ich denke, jetzt ist es so weit.«
Mein Name steht drauf, in Mums Handschrift – die würde mir überall sofort ins Auge springen. Ich schwöre, für eine Sekunde bleibt mir das Herz stehen. Ich kann nicht glauben, dass der Brief real ist. Etwas von Mum. Etwas für mich.
Und Oma hat den Brief zurückgehalten. Was gab ihr das Recht dazu …? Wieder steigt Wut in mir hoch.
»Wie lange hast du den schon?«, frage ich.
»Sie hat ihn mir, ein paar Wochen bevor sie starb, anvertraut.«
»Wieso hast du ihn mir nicht schon früher gegeben? Er gehört mir. Da steht mein Name drauf.«
»Ich hab’s dir doch erzählt«, sagt sie langsam, als ob sie es einem Vollidioten erklärt. »Sie hat mich gebeten, ihn für dich aufzubewahren. Bis du so weit bist.«
»Und das hast du zu
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